FamRZ 1970, 572

Schadensersatz beim Kauf empfängnisverhütender Mittel

Zugleich eine Besprechung von LG München I, FamRZ 1970, 314-316

Von Wiss. Assistent Dr. Ekko Reinelt, Regensburg*)

I.

Wieder einmal hat ein Apotheker einer Kundin anstelle der "Pille" ein anderes Präparat ausgehändigt. Mit der Entscheidung des LG München 1 vom 27. 2. 1970 ist die Frage des Schadensersatzes beim Kauf empfängnisverhütender Mittel nun auch in der Rechtsprechung streitig. Das Gericht prüft eine Schadensersatzverpflichtung des Apothekers aus Vertrag (positive Forderungsverletzung oder culpa in contrahendo).

Im Gegensatz zum LG Itzehoe lehnt das LG München 1 jeden Schadensersatz ab. Dabei befindet es sich im Ergebnis in der guten Gesellschaft von Henrich, Löwe, Lankers und der Redaktion der FamRZ. Mit seiner m. E. unhaltbaren Begründung steht das Gericht jedoch bisher allein. Das LG vertritt den Standpunkt, daß die Unterhaltslasten nach geltendem Recht bereits begrifflich nicht als "Schaden" anzusehen seien.

Der Gedankengang: Erste Folge der Vertragsverletzung ist die Konzeption und die Geburt des Kindes. Nur dieses Ereignis konnte als unmittelbarer Schaden" angesehen werden. Ein Schaden kann nur ein "mißbilligter Erfolg" sein. Konzeption und Geburt sind von unserer Rechtsordnung nicht mißbilligt. Ein Erfolg, der kraft Gesetzes als Rechtsgut geschützt ist, kann nicht ernstlich einer Schadensersatzpflicht unterliegen. Mittelbare Schäden können nur ersetzt werden, wenn ein unmittelbarer Schaden vorhanden ist. Da der erste Erfolg (Geburt oder Konzeption?) kein Schaden ist - ein "unmittelbarer Schaden" also nicht vorliegt -, können auch die "mittelbaren Schäden" im Vermögen der Eltern nicht Gegenstand einer Schadensersatzpflicht sein.

II.

Schaden ist eine nachteilige Veränderung. Ob ein Schaden ein von der Rechtsordnung mißbilligter Erfolg sein muß - wie das LG annimmt -, scheint mir fraglich. Gegenstand einer Mißbilligung oder eines Rechtswidrigkeitsurteils kann immer nur ein menschliches Verhalten, nicht ein Erfolg an sich sein. Und auch ein von der Rechtsordnung gebilligtes Verhalten kann einen Schaden herbeiführen (vgl. § 904 BGB). Das Urteil ist aber abgesehen davon nicht haltbar.

Nach unserer Rechtsordnung darf die Geburt nicht verhindert werden, das Kind selbstverständlich nicht als "unmittelbarer Schaden beseitigt" werden. Daraus folgt aber nur, daß die Existenz des Kindes nicht als Schaden angesehen werden kann. Die Fragen der Naturalrestitution und des Ersatzes in Geld können folglich auch nicht an die Geburt des Kindes angeknüpft werden.

Aus der Tatsache, daß einer der vielen aufgrund der vertraglichen Pflichtverletzung eintretenden Erfolge - nämlich die Geburt des Kindes - begrifflich kein Schaden ist, läßt sich aber nicht der Schluß ziehen, daß alle weiteren Erfolge ebenfalls nicht als Schaden ersetzt werden können. Hier muß unterschieden werden zwischen vertraglichen und deliktischen Schadensersatzpflichten nach 823 1 BGB:

Nach § 823 1 BGB kann der primäre Verletzungserfolg nur am Gegenstand des verletzten Rechtes oder Rechtsgutes selbst eintreten. Demzufolge ist hier immer zu prüfen, ob dieser Gegenstand nachteilig verändert ist. Nur dann kann der unmittelbare Schaden bejaht und ein eventueller weiterer "mittelbarer Schaden" geprüft werden.

Anders als bei einer unerlaubten Handlung nach § 823 1 BGB sind aber die Erfolge, die aufgrund einer vertraglichen Pflichtverletzung eintreten, nicht tatbestandsmäßig (durch Abgrenzung der absoluten Rechte) bestimmt. Infolgedessen gibt es - anders als bei der Prüfung des § 823 1 BGB - keinen ausschließlichen Anknüpfungspunkt für den Primärschaden. Es ist daher methodisch verfehlt, nur einen einzigen beliebigen Erfolg herauszugreifen - auch wenn er so evident ist wie die Geburt eines Kindes - und mit der Feststellung, dieser Erfolg sei von der Rechtsordnung gebilligt und daher kein Schaden, den vertraglichen Anspruch ab zulehnen. Vielmehr müssen alle tatsächlich eingetretenen Erfolge, die in adäquatem Kausalzusammenhang mit der vertraglichen Pflichtverletzung stehen, daraufhin untersucht werden, ob sie die Begriffsmerkmale des Schadens erfüllen. Bei der Prüfung können dabei selbstverständlich alle Ereignisse außer Betracht bleiben, die offensichtlich keinen Schaden darstellen. -Gibt es irgendeinen Erfolg, der ein Schaden ist, so tritt die Ersatzpflicht ein. Für die Tatbestandsmäßigkeit etwa der positiven Forderungsverletzung spielt dementsprechend die Unterscheidung zwischen unmittelbarem und mittelbarem Schaden, grundsätzlich keine Rolle. Jeder adäquat-kausale aus einer schuldhaften vertraglichen Pflichtverletzung entstehende Schaden ist zu ersetzen. Das gilt sowohl - unmittelbaren Schaden etwa an einer im Eigentum des Vertragspartners stehenden Sache - als auch für mittelbaren, also bloßen Vermögensschaden.

Da aufgrund von positiver Forderungsverletzung vielfach nur reine Vermögensschäden eintreten, die dann nach §§ 249 oder 251 BGB zu ersetzen sind (Beispiel: Schaden wegen Vermögensdispositionen aufgrund falscher Bankauskunft), ist die vom LG München I getroffene Unterscheidung zwischen unmittelbarem und mittelbarem Schaden hier verfehlt. Sie kann allenfalls für die Anspruchsgrundlage von Bedeutung sein, nämlich dann, wenn man die Hingabe des falschen Medikaments als Falschlieferung dem Gewährleistungsrecht unterstellt. Ein Schadensersatzanspruch der Eltern kann dogmatisch überzeugend auf diese Weise nicht ausgeschlossen werden.

Die Unterscheidung zwischen unmittelbarem und mittelbarem Schaden könnte aber noch anders gemeint sein. Sie könnte u. U. nicht auf das Begriffspaar Substanz- und Vermögensfolgeschaden, sondern auf die Abgrenzung des Anwendungsbereichs von § 249 und §§ 250, 251 BGB - also Naturalrestitution oder Geldersatz - bezogen sein. Aber dann wäre es vollends unverständlich, im Kind selber den unmittelbaren Schaden sehen zu wollen. Gemäß § 249 BGB könnte an sich hier Naturalrestitution in bezug auf die Unterhaltslasten im Wege der Befreiung von einer Verbindlichkeit verlangt werden. Dieser Anspruch kann auch in einen Geldanspruch übergehen. Nach Auffassung von Löwe besteht die Wiederherstellung hier bereits primär in Geldersatz. Das überzeugt angesichts der familienrechtlichen Natur des Unterhaltsanspruchs.

Freilich entstehen Unterhaltsverpflichtungen erst durch die Geburt des Kindes. Dennoch sind Geburt und Belastung mit Verpflichtungen voneinander unabhängige "Erfolge". Mit Recht führt Mertens aus, daß die Beurteilung der Unterhaltsverpflichtung als Schaden es nicht impliziert, das Kind selbst als Schaden anzusehen. Die Existenz des Kindes ist nur eine tatbestandsmäßige Bedingung für das Entstehen der Unterhaltslasten nach §§ 1601 ff. BGB, ebenso wie etwa die Tötung eines Unterhaltsverpflichteten Tatbestandsmerkmal der Ersatzpflicht nach § 844 BGB ist. Ob eine einzelne Veränderung ein Schaden ist, kann nicht anhand aller Bedingungen dieser Veränderung, sondern nur anhand der Untersuchung des konkreten einzelnen Erfolges selbst festgestellt werden. Es ist also nur abzustellen auf die vorher nicht bestehende ungewollte Belastung mit Unterhaltsverpflichtungen. Die Belastung mit Verbindlichkeiten ist unzweifelhaft ein Schaden.

Man kommt also nicht daran vorbei, daß die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen einer positiven Forderungsverletzung oder einer culpa in contrahendo erfüllt sind, insbesondere, daß durch die Belastung mit Unterhaltspflichten ein Schaden entstanden ist.

Die von Lankers vertretene Auffassung, es sei zwar kein Schaden entstanden, man solle den Eltern aber ein Schmerzensgeld zubilligen, ist inkonsequent. Da Lankers bereits den Schaden (und dessen Ersatzfähigkeit) ablehnt, kann er nicht gleichzeitig den immateriellen Schaden bejahen, der Voraussetzung ist für einen Anspruch nach §847 BGB. Bejaht man dagegen mit der hier vertretenen Auffassung einen ersatzfähigen Schaden, so kann man ihn nur als vermögensrechtlichen qualifizieren, weil er in Geld meßbar ist.

Die nächste Frage geht dahin, ob dieser Schaden nach unserer Rechtsordnung zu ersetzen ist. Auch hier gehen die Auffassungen auseinander. Grundsätzlich muß jeder adäquat-kausal aus einer Vertragsverletzung entstehende Schaden ersetzt werden, wenn nicht ein besonderer Ausschlußgrund gegeben ist.

a) Es wird die Auffassung vertreten, daß man das Kind nicht in verschiedene Sektoren aufteilen könne und die Komplexität des Eltern-Kind-Verhältnisses oder die "personale Ganzheit des Kindes" diese Zergliederung ausschließe. Von einer Zergliederung des Kindes kann schon deshalb keine Rede sein, weil die Unterhaltsverpflichtungen der Eltern keine Bestandteile des Kindes sind und Kind und Unterhaltslasten kein irgendwie geartetes "Ganzes" bilden. Eine solche (in der Rechtswissenschaft leider häufige) Bildersprache ist ungeeignet für die Darstellung juristischer Zusammenhänge. Mit dem emotionalen Schlagwort "Zergliederung" wird nämlich das zu Beweisende, aber nicht Beweisbare stillschweigend vorausgesetzt, daß nämlich Kind und Unterhaltslasten eine untrennbare Einheit bilden. Der Vorwurf von Lankers, Mertens bewege sich in einem Zirkelschluß, wenn er zwischen Kind und Unterhaltslasten unterscheide, ist deshalb m. E. ungerechtfertigt. Allerdings scheinen mir die von Mertens verwendeten Ausdrücke "Wertverwirklichung" und "Wertnegation in bezug auf Kind und Unterhaltslasten auch nicht sehr glücklich, weil Kind und Unterhaltslasten inkommensurabel sind. Zwischen beiden besteht keine andere Verbindung als diejenige zwischen Bedingung und Wirkung.

Für die Frage, ob ein bestimmter Erfolg ein Schaden ist - es sei noch einmal betont - bedarf es keiner "Zergliederung", sondern nur der Untersuchung jedes einzelnen voneinander verschiedenen Erfolges: hier der Unterhaltsverpflichtung,

b) Hinter der Argumentation (Komplexität des Eltern-Kind-Verhältnisses) steckt aber etwas anderes: nämlich die Auffassung, daß die Besonderheit des familienrechtlichen Verhältnisses einen Schadensersatzanspruch ausschließt Die Gegner einer Schadensersatzpflicht beim Kauf empfängnisverhütender Mittel befürchten nämlich zweierlei: 1. der Erzeuger könne sich eines Teils seiner Vaterrolle entledigen, wenn er die Unterhaltskosten auf einen anderen abwälzen könne; 2. das tatsächliche Verhältnis zwischen Eltern und Kind könne schwer belastet werden, wenn das Kind auf diese Weise erfahre, daß es unerwünscht war.

Mit diesen Erwägungen kann nicht ein bereits festgestelltes Tatbestandsmerkmal des Anspruchs aus positiver Forderungsverletzung oder culpa in contrahendo geleugnet, sondern allenfalls ein besonderer Ausschlußgrund behauptet werden. Vom dogmatischen Standpunkt aus ist zunächst schwer ersichtlich, wie das zwischen Eltern und Kind bestehende Familienrechtsverhältnis als relatives Rechtsverhältnis einen Anspruch der Eltern gegen einen Dritten ausschließen soll. Aber abgesehen davon reichen m. E. auch die genannten Gründe nicht aus, die Ersatzfähigkeit des durch die Unterhaltslasten entstehenden Schadens zu verneinen.

Das Eltern-Kind-Verhältnis ist ein personenrechtliches Gemeinschaftsverhältnis. Nicht die finanziellen Beziehungen machen die "Vater- oder Mutterrolle" aus. Infolgedessen kann man sich durch Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen auch nicht der "Vater- (oder Mutter-) rolle" entledigen. Die Gefahr einer Belastung des familiären Verhältnisses ist zwar nicht ganz von der Hand zu weisen, wie auch Mertens einräumt. Nur besteht sie - wenn überhaupt - bereits bei (gerichtlicher) Geltendmachung von Ansprüchen, gleich ob ein eventueller Prozeß erfolgreich geführt wird oder nicht. Auch wenn die hier abgelehnte Auffassung sich in der Rechtsprechung durchsetzen würde, wäre damit noch nicht gewährleistet, daß um Schadensersatz im Zusammenhang mit empfängnisverhütenden Mitteln überhaupt nicht mehr prozessiert wird.

Wenn ein Kind wirklich ungewollt geboren wurde und deshalb vielleicht ungeliebt- aufwächst, spürt es die Belastung nicht nur daran, daß seine Eltern Schadensersatzansprüche geltend machen. Wurde es aber nur ungewollt gezeugt und später als individueller Mensch akzeptiert und geliebt, dann dürfte die Gefahr der Belastung durch Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen nicht allzu groß sein. Auf der anderen Seite ist es gerade im Interesse des ungewollten Kindes geboten, seine materielle Existenzgrundlage zu sichern.

Schließlich trägt der Gedanke eines familienrechtlichen Ausschlußgrundes sicher nicht in all den Fällen, in denen etwa zwischen Vater und Kind keine enge Beziehung besteht - also wohl in den meisten Fällen der Beziehung zwischen Vater und nichtehelichem Kind. Nur in solchen Fällen dem Vater einen Schadensersatzanspruch zuzubilligen, würde indes bedeuten, ihn gegenüber anderen Vätern ungerechtfertigt besserzustellen: Verzicht auf persönliches Engagement würde finanziell honoriert.

c) Die Ersatzfähigkeit des Schadens von vornherein zu verneinen, scheint mir aber vor allem auch deshalb nicht richtig, weil dann sogar zahlreiche Fälle arglistigen Verhaltens zivilrechtlich nicht faßbar wären:

Am 9. 7. 1970 berichtete die Süddeutsche Zeitung [SZ], daß auf dem Schwarzen Markt für "Antibabypillen" Dragees angeboten worden seien, die keine empfängnisverhütenden Wirkstoffe enthielten. Dabei handelte es sich um Versuchsmuster. Laut Bericht vom 13. 7. 1970 der SZ stammten die Pillen vom Müllhaufen einer Maschinenfabrik. Die Fabrik war - so die SZ - von der Arzneimittelfirma mit der Herstellung einer Verpackungsmaschine beauftragt worden und hatte bei den Probeläufen wertlose Pseudopillen verwendet.

Sollen die Personen, die diese Pillen. an Unwissende verkauft haben, zivilrechtlich nicht haften? - Soll dem Arzt oder dem Apotheker ein Freibrief für ein arglistiges Verhalten ausgestellt werden? - Soll es dem Hersteller von Verhütungsmitteln gestattet sein, im Vertrauen auf die Freistellung von jeder Schadensersatzpflicht, es an jeder Kontrolle bei der Herstellung entsprechender Erzeugnisse fehlen zu lassen? - Soll es zugelassen sein, billig, rationell und rechtlich unangreifbar mangelhafte Waren herzustellen?

Selbst nach § 826 BGB könnte in diesen Fällen kein Anspruch geltend gemacht werden, weil auch diese Bestimmung einen "Schaden" voraussetzt. Um wenigstens die Ungerechtigkeit der Ergebnisse in diesen krassen Fällen auszuschalten, bliebe für- die Vertreter der hier -abgelehnten Auffassung nur der Weg, den Begriff des Schadens im Rahmen des § 826 BGB anders zu definieren als in anderen Bestimmungen des BGB sowie im gewöhnlichen Sprachgebrauch und damit einen weitere Schritt zu tun auf dem Weg der Auflösung aller Begriffe, der Rechtssicherheit und der abstrakten Systematik des BGB.

d) Aus all dem ist der Schluß zu ziehen: Ein besonderer familienrechtlicher Ausschlußgrund für die Ansprüche aus culpa in contrahendo und positiver Forderungsverletzung im Zusammenhang mit dem Kauf empfängnisverhütender Mittel besteht nicht. Grundsätzlich hat der Schädiger für die Unterhaltskosten Schadensersatz. zu leisten. Diese Kosten können. konkret oder in Anlehnung an den Regelunterhalt berechnet werden. § 1615 f BGB n.F. bezieht sich zwar nur auf das Verhältnis zwischen nichtehelichem Kind und Vater. Es steht aber nichts entgegen, die Vorschrift auch als Berechnungsgrundlage für Fälle der vorliegenden Art heranzuziehen. In beiden Fällen muß der konkret gar nicht oder nur sehr schwierig festzustellende tatsächliche Unterhaltsaufwand aus praktischen Gründen auch pauschal berechnet werden können.

e) Der Geschädigte wird jedoch in aller Regel wegen Mitverursachung einen erheblichen Teil des Schadens nach § 254 (evtl. § 278) BGB selbst tragen müssen.

f) Zweifelhaft ist, ob der Schädiger sich gegenüber dem durch die Unterhaltslasten entstehenden Schaden auf Vorteilsausgleichung berufen kann. Das Kind kommt als Vorteil nicht in Betracht, weil es als Mensch kein (auch kein immaterieller) Wertposten, keine "Wertverwirklichung" (so aber Mertens) und kein irgendwie gearteter anrechenbarer Vorteile ist. Ein Vorteil kann aber darin liegen, daß der geschädigte Unterhaltsverpflichtete unter bestimmten Voraussetzungen einmal einen Unterhaltsanspruch gegen das Kind erwerben kann. Nun gilt zwar der Grundsatz daß eventuelle Unterhaltsleistungen wegen ihres subsidiären Charakters niemals auf Schadensersatzansprüche anzurechnen sind. Dieser Ausschluß kann aber in den Fällen nicht gelten, in denen die Schadensersatzpflicht gerade deshalb entsteht, weil der Schädiger einen Tatbestand schafft, an den das Gesetz erst die Unterhaltsverpflichtung und eine eventuelle spätere Unterhaltsberechtigung knüpft. Die Vorteilsausgleichung ist hier also nicht schlechthin ausgeschlossen. Eine Verrechnung der mit der Geburt entstehenden Unterhaltspflicht des Geschädigten mit einem latenten und in seiner Aktualisierung noch völlig ungewissen Unterhaltsanspruch gegen das Kind (oder gar einem eventuellen Erbrecht) ist m. E. deshalb nicht möglich, weil man hier noch nicht von einem gegenwärtigen vermögenswerten Vorteil des Geschädigten sprechen kann. Es ist im Zeitpunkt der Entstehung des Schadensersatzanspruches ungewiß, ob und in welchem Umfang der Unterhaltsverpflichtete je Vermögensvorteile von dem Kind erhalten -wird. Anders ist es, wenn bereits im Zeitpunkt der Entstehung des Schadensersatzanspruches ein dem Geschädigten erwachsender Vorteil konkret nachweisbar und berechenbar ist. Einen solchen Nachweis wird der Schädiger jedoch in aller Regel nicht führen können.

IV.

Zu klären bleibt, ob ein Schadensersatzanspruch auch aus § 823 1 BGB gegeben sein kann.

Diese Frage wurde bisher - soweit ersichtlich - übereinstimmend verneint.

Mertens bejaht zwar eine Körper- oder Gesundheitsverletzung der Mutter durch die Geburt, meint aber, der entstehende Schaden liege nicht im Schutzbereich der Norm. Es ist fraglich, ob man die Geburt als natürlichen Vorgang überhaupt als Körper- oder Gesundheitsverletzung ansehen kann. Aber auch dann scheint es mir gekünstelt, auf eine Gesundheitsverletzung der Mutter abzustellen, angesichts der Tatsache, daß die Geburt nur eine weitere Folge der hier vor allem beeinträchtigten Selbstbestimmung ist. Im Ergebnis ist jedenfalls -mit Mertens ein deliktischer Anspruch wegen Gesundheitsverletzung abzulehnen.

Ein Rückgriff auf die Verletzung eines "absoluten Ehekerns" ist m. E. nicht möglich, weil es einen solchen nicht gib Die Ehe ist ein höchstpersönliches relatives Rechtsverhältnis, also kein irgendwie geartetes absolutes Recht, und hat als solches weder einen räumlich-gegenständlichen Bereich noch einen "absoluten Kern". Im übrigen stellt sich das Problem der Verletzung eines absoluten Rechtes nicht nur bei der verheirateten Frau.

Mertens will ein spezielles Freiheitsrecht ("Freiheit zum Kind nicht anerkennen. Mir scheint es nicht richtig zu sein, sich bei der Prüfung der " Freiheit" nach § 823 1 BGB stets auf "spezielle Freiheitsrechte" zurückzuziehen. Weicht man auf ein Recht "auf Familienplanung" aus, so wird nur verdeckt, daß Familienplanung und "Freiheit zum Kind die Verwirklichung der Entschließungsfreiheit in bezug auf bestimmte Entscheidungsmöglichkeiten sind. Als verletztes Recht nach § 823 1 BGB kommt sonach das Recht auf Entschließungsfreiheit in Betracht. Beim Kauf empfängnisverhütender Mittel könnte dieses Recht u. U. durch fahrlässige Irrtumserregung oder durch Täuschung verletzt werden.

Überwiegend wird ein absolutes Recht auf Entschließungsfreiheit abgelehnt. Unter "Freiheit" nach § 823 , I BGB wird allgemein bis heute nur die körperliche Bewegungsfreiheit verstanden.

Leinemann führt auf der Grundlage der Lehre von Ernst Wolf aus, daß Gegenstand der Freiheit nicht etwa die körperliche Beweglichkeit, sondern bestimmte in einem Menschen bestehende Entschließungsmöglichkeiten sind, Daraus folgt zwar nicht zwingend, daß das Recht auf Freiheit nach § 823 1 BGB sich auch auf andere Entschließungsmöglichkeiten als die der körperlichen Bewegung beziehen muß. Angesichts der Tatsache, daß unter der Geltung des Grundgesetzes das Recht auf freie Entfaltung anerkannt ist, das inhaltlich einem absoluten Recht auf freie Entschließung innerhalb aller im Menschen bestehenden Entschließungsmöglichkeiten entspricht, ist es jedoch naheliegend, den Begriff Freiheit nach § 823 1 BGB nicht nur im Sinne einer körperlichen Bewegungsfreiheit zu verstehen.

Nach Wolf ist ein Mensch in seiner Entschließungsfreiheit beeinträchtigt, wenn ein Erfolg einer Handlung einer, anderen Person darin besteht, daß ein Mensch an einer ihm möglichen Entscheidung gehindert (vis absoluta und Täuschung) oder in einer ihm möglichen Entscheidung behindert ist (vis compulsiva und Drohung). Leinemann behauptet, die Freiheit der Entschließung werde durch Änderung der Bedingungen mit der Möglichkeit einer bestimmten Entschließung beeinträchtigt. Die so verstandene Entschließungsfreiheit ist nach Leinemann nicht nur bei Zwang, Drohung und Täuschung, sondern bei jeder Irrtumserregung beeinträchtigt.

Das würde für die Pillenkäufe bedeuten, daß jedes fahrlässige Versehen des Apothekers, das zu einem folgenschweren Irrtum bei der Kundin führt, den Apotheker nach § 823 1 BGB schadensersatzpflichtig machen würde.

Da Irrtumserregung nur einen an sich möglichen Entschluß verhindern könnte, ist zu untersuchen, ob das Recht auf Entscheidungsfreiheit durch Verhinderung von bestimmten Entschlüssen verletzt werden kann.

M. E. ist das nicht möglich, weil Gegenstand des Freiheitsrechts entgegen Leinemann nicht- die Bedingungen der Möglichkeit eines bestimmten Entschlusses sein können. Die Bedingungen der Möglichkeit eines bestimmten Entschlusses sind so verschiedene Gegenstände wie Körper, Gesundheit, Anlage zur Entschließungsfreiheit, bestimmte Kenntnisse, bestimmte Fertigkeiten des sich Entschließenden. Verschiedene. Gegenstände können nach der auch von Leinemann vertretenen Auffassung nicht Gegenstand eines absoluten Rechtes sein. Außerdem sind die Bedingungen z. T. für einzelne Entschlüsse verschieden, So erfordern bestimmte Entschlüsse Kenntnisse und Fertigkeiten der verschiedensten Art. Das Recht auf Freiheit hätte dann je nach dem einzelnen Entschluß einen verschiedenen Inhalt. Da einem absoluten Recht nur ein bestimmter Inhalt zukommen kann, müssten den verschiedenen Gegenständen hier verschiedene Rechte entsprechen.

Wenn Leinemann ausführt, eine Entscheidungsmöglichkeit werde entzogen, falls ein Mensch, aufgrund eines in ihm erzeugten Irrtums einen bestimmten Entschluß nicht faßt, "den er ohne diesen Irrtum gefaßt hätte", so ist zu f ragen, wie Leinemann diesen gedachten "bestimmten Entschluß", der nie existiert hat, angesichts der akausalen inhaltlichen Freiheit eines Entschlusses seinem Inhalt nach durch hypothetische Kausalprüfung ermitteln will. "Bestimmte Entschlüsse", die (etwa wegen Irrtums) nicht gefaßt worden sind, gibt es nicht. Angesichts der unendlichen Zahl möglicher Entschlüsse wird ein Mensch fortwährend durch bestimmte Einflüsse an möglichen Entschlüssen gehindert. Der Versuch, die vielen verschiedenen Bedingungen der Möglichkeit eines solchen verhinderten, angeblich bestimmten Entschlusses als Gegenstand des Freiheitsrechts zu definieren, scheint mir nicht gelungen zu sein.

Gegenstand des Rechts, auf Freiheit ist in. E. die Möglichkeit der freien Entschließungstätigkeit selbst, also die Möglichkeit, jederzeit ohne fremden Druck Entschlüsse zu fassen (und entsprechend gefaßten Entschlüssen zu handeln). Diese Möglichkeit existiert unabhängig von einzelnen Entschlüssen und deren Ausführbarkeit. Dabei hat der Begriff Freiheit eine doppelte Bedeutung: einmal die Möglichkeit, unabhängig von kausaler Determination zwischen einer Handlung und ihrer Unterlassung wählen zu können (ontologische Bedeutung), zum anderen, diese Wahl unabhängig von äußerem Druck treffen und dementsprechend handeln zu dürfen (normative Bedeutung). Zur Entschließungsfreiheit in diesem Sinn gehören nicht alle Bedingungen des Sich-Entschließen-Könnens. Körper und Gesundheit gehören etwa als Gegenstände besonderer Rechte nicht zu den Gegenständen des Rechts auf Entschließungsfreiheit. Die Möglichkeit, sich für oder gegen eine Handlung zu entscheiden, wird einem Menschen durch Irrtumserregung nicht entzogen. Sie kann durch Hypnose und Drogen entzogen, durch Zwang zumindest beeinträchtigt werden. Zwar können die Motive eines Menschen durch Irrtumserregung verändert werden; an der Möglichkeit, sich für oder gegen eine bestimmte Handlung zu entscheiden (also an der Entscheidungstätigkeit selbst), ändert sich nichts. Auch die Wahl zwischen vermeintlichen Möglichkeiten kann Gegenstand einer freien Entschließungstätigkeit sein.

Beim Kauf empfängnisverhütender Mittel käme eine Beeinträchtigung der Entschließungsfreiheit nur durch (vorsätzliche oder fahrlässige) Irrtumserregung in Betracht. Da auf diese Weise m. E. das Recht auf Entschließungsfreiheit nicht beeinträchtigt werden kann, scheitert ein Schadensersatzanspruch nach § 823 1 BGB bereits daran, daß kein absolutes Recht verletzt ist.

V.

Schließlich bleibt zu untersuchen, ob ein Schadensersatzanspruch nach § 823 11 BGB i. Vbdg. m. einem Schutzgesetz gegeben sein kann.

Mertens meint, ein Schadensersatzanspruch jedenfalls i. Vbdg. m. einem "gesundheitsrechtlichen Schutzgesetz" liege außerhalb des Schutzbereichs der Norm. Dem ist im Ergebnis zuzustimmen. Weiter geht Lankers: Eine Norm, die im Falle ihrer Verletzung den (unehelichen) Erzeuger von seiner Unterhaltspflicht gegenüber seinem Kind befreien wolle, gibt es seiner Auffassung nach nicht. Das ist zu bezweifeln. § 240 StGB ist dazu bestimmt, die Freiheit der Entschließung (in der normativen Bedeutung.: frei von äußerem Druck) zu schützen. Wird ein Mann zur Zeugung eines Kindes genötigt oder wird eine Frau zur, Duldung einer künstlichen Insemination gezwungen, dann ist der in Form der Unterhaltslasten entstehende Schaden bei Geburt eines Kindes gerade die typische Folge, die in diesem Zusammenhang durch das einschlägige Schutzgesetz verhindert werden soll.

Schadensersatzansprüche nach § 823 Il i. Vbdg. m. § 240 StGB sind danach möglich. Beim Kauf empfängnisverhütender Mittel wird jedoch ein Anspruch aus § 823 11 BGB i. Vbdg. m. § 240 StGB praktisch nicht in Betracht kommen.

Näher liegt hier die Prüfung eines Schadensersatzanspruches nach §823 11 BGB i. Vbdg. m. § 263 StGB:

Der Schaden, d en § 263 StGB verhindern soll, ergibt sich beim Betrug aus der Verschlechterung der Vermögenslage des Käufers. Der Käufer hat für einen bestimmten Kaufpreis eine - jedenfalls für ihn - wertlose Gegenleistung erhalten. Der später in Form der Unterhaltslasten eintretende Schaden ist nicht unmittelbar durch die Vermögensverfügung herbeigeführt. Damit liegt er auch nicht mehr innerhalb des Schutzzwecks des § 263 StGB.

Ein Schadensersatzanspruch nach § 823 11 i. Vbdg. m. § 263 StGB beim Kauf empfängnisverhütender Mittel kommt danach nicht in Frage.

Daß u. U. ein Anspruch nach § 826 BGB gegeben sein kann, versteht sich nach den vorangegangenen Ausführungen von selbst.

VI.

Ergebnis: Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Kauf empfängnisverhütender Mittel können sich aus positiver Forderungsverletzung oder culpa in contrahendo ergeben. Ansprüche können auch nach § 826 BGB begründet sein. Andere Ansprüche sind beim Kauf empfängnisverhütender Mittel nicht möglich. Insbesondere ergibt sich kein Anspruch aus § 823 1 BGB, weil das absolute Recht auf Entschließungsfreiheit nicht durch Täuschung oder andersgeartete Irrtumserregung beeinträchtigt werden kann. Ansprüche aus § 823 11 i. Vbdg. m. § 263 StGB scheitern daran, daß der in Form der Unterhaltslasten entstehende Schaden nicht innerhalb des Schutzzwecks des § 263 StGB liegt.