NJW 2008, Heft Nr. 20 S. 1431

Nachruf Professor Dr. Ernst Wolf

Am 28.03.2008 ist Professor Dr. Ernst Wolf, Marburg, im Alter von 93 Jahren gestorben, wenige Monate nach dem Tod seiner Ehefrau.

Ernst Wolf wurde am 26.10.1914 in Meiningen/Thüringen geboren. Nach seinem Studienabschluss und seiner Habilitation war er zunächst tätig als Referent im Justizministerium des Landes Hessen. In Chicago übernahm er für zwei Jahre eine Gastprofessur. 1955 wurde er an die Phillips-Universität in Marburg/Lahn berufen. Dort lehrte er Bürgerliches Recht, Arbeitsrecht, sowie die Grundlagen der Rechtslehre und juristischen Methodik bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1983. (Den Begriff Rechtsphilosophie hielt er für verfehlt, vgl. Ernst Wolf „Rechtsphilosophie - Ein Irrweg!“, Marburg 2002).

Bei der Lösung zahlreicher Rechtsfragen hat Ernst Wolf eine Vorreiterrolle gespielt. Als Erster plädierte er bereits in den 50er Jahren für eine individualrechtliche Betrachtung der Ehe und das Zerrüttungsprinzip bei der Scheidung (Wolf/Lüke/Hax, „Scheidung und Scheidungsrecht“, 1959). Aus seinen umfangreichen Veröffentlichungen seien hier nur erwähnt die Lehrbücher zum Allgemeinen Teil des BGB, zum Schuld-recht und zum Sachenrecht.

Bahnbrechend sind seine Ausführungen zur Rechtsfähigkeit des Menschen (Ernst Wolf/Hans Naujoks, „Anfang und Ende der Rechtsfähigkeit des Menschen“, Frankfurt/Main 1955), seine Darstellung der Folgen des Rücktritts als Begründung eines ex nunc wirkenden Rückabwicklungsverhältnisses (Ernst Wolf, „Rücktritt, Vertretenmüssen und Verschulden“ AcP 153, 97, 1954), seine grundlegenden Ausführungen zur Aussperrung im Arbeitsrecht („Das Recht zur Aussperrung“, München 1983, vgl. auch Buchbesprechung von Rüthers, NJW 1984, 472) und vor allem die Begründung seiner Realen Rechtslehre („Die Reale Rechtslehre und ihre Grundlagen“, Marburg 2002; Ernst Wolf, „Allgemeiner Teil des BGB“, 3. Aufl., Köln 1982; Ernst Wolf, „Die Lehre vor der Handlung AcP 170, 181, 1970). Mit seiner ontologisch fundierten, auf methodischer Rechtserkenntnis beruhenden „Realen Rechtslehre“ begründete er eine wissenschaftliche Methode der Erkenntnis rechtlicher Verhältnisse in einem geschlossenen, begrifflich stimmigen System.

Eindrucksvoll ist sein Vortrag anlässlich des Symposions aus Anlass seines 80-ten Geburtstags am 29.10.1994 in Marburg („Die Krise des Rechtsstaats“), in dem zentrale Erkenntnisse seiner Rechtslehre zusammengefasst sind (Herausgeber Gerhard Lüke, „Die Krise des Rechtsstaats“, Marburg 1994). Diese wichtige Schrift endet mit folgendem Postulat:

„Die Rückkehr zu den Begriffen, das heißt zum System des Bürgerlichen Gesetzbuchs, ist gleichbedeutend mit methodischer und sachlicher Herstellung der Rechtssicherheit, ohne die es kein Vertrauen der Menschen in den Rechtsstaat gibt, die aber auch Sicherung und grundlegende Entlastung der richterlichen Arbeit bedeutet. Das Glückspiel der Prozessführung und die Katastrophe der uferlosen Prozessflut mit allen schlimmen Folgen wären zu Ende.“

Ernst Wolf hat mit der Klarheit seines Denkens und mit seiner vorbildlichen, unbestechlichen Zivilcourage viele Schüler geprägt. Er wurde mit 21 Jahren von der Gestapo verhaftet und zunächst ins Reichssicherheitshauptamt, dann in ein KZ verbracht, weil er als einziger Student gegen die Zwangseremitierung eines Professors demonstriert hatte.

1968 verteidigte er sein Lehrkatheder in Marburg gegen Studenten, die es zu erstürmen versuchten, um die Vorlesung in eine Diskussionsrunde umzufunktionieren. Wo immer es nötig war, trat er unter Einsatz seiner ganzen Person für die Verteidigung individueller Freiheit ein.

Die Klarheit seines logisch-analytischen Denkens, die Stringenz seiner Deduktionen, die Liebe zur Wahrheit und die Unerschrockenheit und Kompromisslosigkeit in der Verteidigung individueller Freiheit von welcher Seite sie auch immer bedroht war machen Ernst Wolf zu einem unvergessenen Vorbild.

Ernst Wolf hinterlässt eine Tochter, zwei Söhne und Enkel. Seine beiden Söhne, beide Professoren der Rechtswissenschaft, werden seine grundlegenden zivilrechtlichen wissenschaftlichen Grundlagen für das Gebiet des öffentlichen Rechts (Prof. Dr. Joachim Wolf, Bochum) und des Strafrechts (Prof. Dr. Gerhard Wolf, Frankfurt/Oder) fruchtbar machen.

Allen, die Ernst Wolf persönlich erlebt haben, wird er unvergessen bleiben.

Dr. Ekkehart Reinelt, Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof