BauR, Heft 6 2003, Seite 932

Diskussionsforum - § 648a BGB: Ein Instrument zur Knebelung des Bauherrn

RA Dr. Ekkehart Reinelt, München

Die breite Diskussion ungeklärter Rechtsfragen ist für die Fortentwicklung des Baurechts von wesentlicher Bedeutung. BauR möchte diese Diskussion fördern und ihr weiteren Raum eröffnen. Zu diesem Zweck werden in jedem Heft ein oder mehrere Themen, gegebenenfalls in Thesenform, zur Diskussion gestellt; in einer darauf folgenden Ausgabe werden dann die eingesandten Diskussionsbeiträge veröffentlicht. Das Diskussionsforum steht auch Themen- und Thesenvorschlägen sowie kurzen Stellungnahmen zu Aufsätzen, Entscheidungen und Entscheidungsanmerkungen vorangegangener Hefte offen.

These: § 648a BGB ist entgegen der euphorisierenden Interpretation in Rechtsprechung und herrschender Meinung vom notwendigen, in Wahrheit übersteigenden Schutz des AN ein unausgewogenes, die Interessen des Bauherrn grob vernachlässigendes Instrument zur Knebelung und Erpressung des Bauherrn.

§648a BGB sollte dazu dienen, das Risiko des im Werkvertragsrecht vorleistungspflichtigen AN bei von ihm zu erbringenden Vorleistungen dagegen abzusichern, daß der AG - sei es wegen Vermögensverschlechterung, sei es wegen gezielter Manipulationen - den AN um seinen Werklohn bringt. Diese Vorschrift, von der es gemäß §648 a Abs. 7 BGB keine abweichenden Vereinbarungen geben darf, ist insbesondere in der extensiven, um nicht zu sagen exzessiven Interpretation der Rechtsprechung ein inadäquates Druckmittel in der Hand des AN. Die extensive Auslegung in Rechtsprechung und herrschender Meinung führt dazu, daß das Recht auf Sicherung nach §648a BGB sich nicht nur auf noch zu erbringende Leistungen, sondern bereits erbrachte Leistungen bezieht (contra legem), daß keine übergenauen Anforderungen an die Höhe des Sicherungsverlangens gestellt werden sollen, daß bestehende Mängel das Sicherungsverlangen nicht berühren und daß auch ein erhöhtes Sicherungsverlangen den Fristlauf des §648 Abs. 1 Satz 1 BGB bewirkt mit der Folge des Leistungsverweigerungsrechts. Weiter vertritt die herrschende Meinung die Auffassung, die Vorschrift gelte auch nach Abnahme. Diese ausweitende Interpretation steht im Widerspruch zum Wortlaut des §648 a BGB und führt zu einer unangemessenen Beschränkung der Rechte des AG.

Die Baupraxis lehrt, daß Bauunternehmer häufig unterkalkulierte Angebote abgeben und oft ganze Abteilungen daran setzen, bereits nach Abschluß des Vertrages durch Nachtragsverlangen die unterkalkulierten Vergütungen aufzubessern. Sie überziehen den sich auf einen Pauschalpreis verlassenden Bauherrn mit einer Überfülle von Ansprüchen auf Nachtragsvergütung, melden gleichzeitig vorgeschobene in der Baupraxis irrelevante, bei Baujuristen jedoch gelegentlich verfangende Scheinbehinderungen an und setzen den AG zusätzlich mit Sicherungsverlangen unter Druck. Insbesondere dann, wenn wegen Terminverzugs oder zu beseitigender Mängel Gefahr für den Unternehmer drohen könnte (§5 Nr.4 VOB/B; §4 Nr. 7 VOB/B i. V. m. §8 Nr.3 VOB/B), wird als probates Druckmittel sofort ein übersteigertes Verlangen nach Bauhandwerkersicherung gestellt, selbst dann, wenn zuvor beispielsweise schon eine Teilsicherheit nach Absprache zwischen den Parteien dafür gewährt worden ist. Die Sicherung kann - jedenfalls bei Großbauvorhaben, die fremd finanziert sind - in unbegrenzter Höhe nur von wenigen Bauherrn auf einen Schlag zur Verfügung gestellt werden. Wenn die extremen Anforderungen des AN nicht erfüllt werden, macht er es sich bequem auf dem Kissen seines Leistungsverweigerungsrechts: Er stellt die Baustelle ein. Die daraus resultierenden Mehrkosten sind für den AG in alter Regel so hoch, daß er sich jedem Diktat des AN unterwerfen muß.

So erweist sich jedenfalls in der Interpretation der herrschenden Meinung das zur Verstärkung der Sicherheit des Bauhandwerkers gegen Insolvenz gutgemeinte Bauhandwerkersicherungsgesetz und §648 a BGB als einseitiges Mittel der Druckerzeugung und nicht als eine die Interessen beider Vertragsteile ausgewogen berücksichtigende Regelung.

Für die Einzelheiten der weiteren Begründung verweise ich auf meine Ausführungen in Baurecht 1997, 766.

Ich bin mir natürlich völlig darüber im klaren, daß gerade vor dem Hintergrund der herrschenden Meinung zu dieser Vorschrift meine Stellungnahme als extrem einseitig betrachtet werden wird. Sie ist jedoch entstanden aus bitterer Erfahrung bei entsprechenden Großbaustellen. Im übrigen sagt Goethe in Pandora zu pointiert einseitigen Stellungnahmen, die man als Anwalt wohl für sich in Anspruch nehmen darf

"Des wahren Manns Behagen sei Parteilichkeit "