ZAP 2001, Fach 23, Seite 517

Verfassungswidrigkeit des Verbots der Simultanzulassung (§ 25 BRAO)

RA Dr. Ekkehart Reinelt, München

 

Leitsätze des Bearbeiters:

1. § 25 der BRAO ist mit Art. 12 Abs. 1 des GG unvereinbar.

Die Vorschrift gilt für bestehende Zulassungen bis zum 30. 6. 2002 fort. Ab 1. 1. 2002 können bisher singular bei den Oberlandesgerichten zugelassene Rechtsanwälte auf ihren Antrag zugleich bei den für den Sitz der Kanzlei zuständigen Amts- und Landgerichten zugelassen werden.

2. § 226 Abs. 2 der BRAO ist ab 1. 7. 2002 hinsichtlich der Beschränkung auf die dort genannten Länder gegenstandslos.

BVerfG, Urt. v. 13. 12. 2000 - 1 BvR 335/97

Bearbeiter: Rechtsanwalt Dr. Ekkehart Reinelt, München

Die der Entscheidung zugrunde liegende Verfassungsbeschwerde war erhoben worden von einem in Münster seit mehr als 5 Jahren niedergelassenen Rechtsanwalt und Notar, der eine gleichzeitige Zulassung beim OLG Hamm angestrebt hatte. Diese wurde ihm versagt, weil die Ausnahmeregelung des § 226 Abs. 2 BRAO eine solche Simultanzulassung zwar für einige Bundesländer zulässt, für Nordrhein-Westfalen jedoch nicht (vgl. auch ZAP-Aktuell 11/2000, S.713).

1. Der Gesetzgeber hatte in der Vergangenheit verschiedentlich Rechtsvorschriften erlassen, die die bisherige beschränkte Postulationsfähigkeit der Anwälte erweitert haben. Mit dem Gesetz zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte v. 2. 9. 1994 (BGBl 1, S. 2278) war bekanntlich die Postulationsfähigkeit der Anwälte in den alten Bundesländern ausgedehnt worden. Es war seinerzeit umstritten, welche Wirkung die Neuregelung im einzelnen tatsächlich hatte. Während das Bundesjustizministerium ursprünglich der Auffassung war, dass sich durch dieses Gesetz i. V. m. den seinerzeitigen Entscheidungen des BVerfG (NJW 19951 247 und NJW 1996, 1882) die Situation ergebe, dass die ostdeutschen Anwälte nur vor den Gerichten der n e u e n Bundesländer, nicht aber der alten auftreten konnten, wohingegen die Anwälte in den a l t e n Bundesländern (nur) in den alten Bundesländern vor allen Landgerichten postulationsfähig gewesen seien, vertraten andere mit der BRAK die Auffassung, dass die Neuregelung zu dem merkwürdigen Ergebnis führte, dass Rechtsanwälte aus den n e u e n Bundesländern ab 1. 1. 2000 vor allen erstinstanzlichen Gerichten der Bundesrepublik, Rechtsanwälte aus den a l t e n Bundesländern jedoch nicht bei den Gerichten der neuen Bundesländer auftreten konnten (Reinelt NJW 1999, 3248; BRAK-Mitteilung 1999, 172).

Das Bundesjustizministerium hat dann seine Auffassung geändert und sich den Bedenken des Verf. gegen die Verfassungsmäßigkeit der seinerzeit geschaffenen Rechtslage angeschlossen (vgl. im einzelnen Reinelt VIZ 2000, 584). Der Gesetzgeber hat rechtzeitig vor der Jahrtausendwende reagiert und durch ein "Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte" v. 17.12.1999 die befürchtete Ungleichbehandlung der Anwälte in der Bundesrepublik in der Frage der Aufhebung des Lokalisierungsgrundsatzes und der Postulationsfähigkeit beseitigt: Seither gilt die uneingeschränkte Postulationsfähigkeit aller Anwälte in der Bundesrepublik vor allen erstinstanzlichen Gerichten (Enders JurBüro 1999, 1; Kirchberg NJW 2000, 486; Reinelt VIZ 2000, 584; zu den Auswirkungen auf die Anwaltskanzleien vgl. auch Brieske ZAP F 23, S. 427 ff.).

2. Die verschiedenen gesetzgeberischen Maßnahmen haben nach Auffassung des BVerfG in der jetzt vorliegenden Entscheidung deutlich gemacht: Der Gesetzgeber sieht die Beschränkung der Postulationsfähigkeit - und ähnliches muss auch für das Verbot der Simultanzulassung gelten - nicht mehr als überragendes Rechtsgut i. S. d. Gemeinwohls an. Die entsprechenden Belange wurden im Zuge der Reform des anwaltlichen Berufsrechts selbst durch den Gesetzgeber nicht mehr für tragfähig erachtet, um eine Beschränkung der Postulationsfähigkeit vor den Landgerichten zu rechtfertigen.

Wenn aber der Gesetzgeber durch verschiedene Regelungen grundsätzlich die Lockerung der entsprechenden Beschränkungen in Angriff nimmt, kann es - so das BVerfG - umgekehrt nicht hingenommen werden, dass durch das Verbot der Simultanzulassung gravierend in die Berufsausübung einzelner Rechtsanwälte eingegriffen wird.

3. Diese Einschränkung der Berufsausübung, die einzelnen Rechtsanwälten die Möglichkeit der Simultanzulassung verschließt, verstößt nach Auffassung des BVerfG gegen Art 12 GG.

Das BVerfG führt aus: Das Institut der Singularzulassung sei ursprünglich auf eine Reihe von Gemeinwohlbelangen gestützt worden. Dazu zählten Rechtstradition, Nachteile für die Rechtspflege bei der Wahrnehmung auswärtiger Termine durch andere Anwälte, Zusammenarbeit von Richtern und Anwaltschaft mit persönlichem Kontakt. All diese Gründe seien durch die zwischenzeitliche Rechtsentwicklung (beispielsweise die Aufhebung des Lokalisationsgrundsatzes) überholt. Der Gesetzgeber habe sich seit 1990 zunehmend und deutlich von seiner ursprünglichen Einschätzung distanziert. Die Singularzulassung sei für die Rechtspflege insgesamt nicht förderlicher als die Simultanzulassung. Dafür sprechen insbesondere auch die Ausnahmen von der Singularzulassung in verschiedenen Bundesländern (§ 226 BRAO).

Schon vor Erlass der Entscheidung des BVerfG war die Meinung vertreten worden, dass die derzeitige Ungleichbehandlung - Simultanzulassung ja oder nein - angesichts der faktischen Durchbrechung durch Mischsozietäten nicht nur rechtspolitisch verfehlt sei, sondern die Ungleichbehandlung in der Frage der Simultanzulassung sich verfassungsrechtlich nicht mehr rechtfertigen lasse (Reinelt VIZ 2000, 584). Diese Auffassung bestätigt jetzt das BVerfG.

Es gebe - so das BVerfG - keine überwiegenden Gründe des Gemeinwohls, welcher Art auch immer, die eine so empfindliche Einschränkung der Berufsausübungsfreiheit einzelner Rechtsanwälte gegenüber anderen in der Bundesrepublik rechtfertigten.

4. Das BVerfG hat die Verfassungswidrigkeit des § 25 BRAO nur auf einen Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG gestützt. In eine Prüfung, ob gleichzeitig ein Verstoß gegen Art. 3 GG vorliegt, ist es nicht mehr eingetreten. Allerdings dürfte ein solcher Verstoß angesichts der Ungleichbehandlung in der Frage der Simultanzulassung in einzelnen Bundesländern ebenfalls zu bejahen sein.

Unabhängig davon, ob man die Verfassungswidrigkeit nur mit einem Verstoß gegen Art. 12 GG oder auch mit einem Verstoß gegen Art. 3 GG begründet: Im Ergebnis ist klar, dass nunmehr jeder Anwalt in der Bundesrepublik unter bestimmten Voraussetzungen eine Simultanzulassung erreichen kann.

5. Die Vorschrift des § 25 BRAO - Verbot der Simultanzulassung - ist allerdings (soweit sie bisher galt) nach der Entscheidung des BVerfG noch bis zum 30. 6. 2002 anzuwenden, um den von der Entscheidung betroffenen Anwälten eine Anpassungszeit zu gewähren. Die Zeitspanne soll dazu genutzt werden, dass sich die singular zugelassenen Anwälte bei den Oberlandesgerichten um Zulassungen bei den für sie in Betracht kommenden Amts- und Landgerichten bemühen und berufliche Zusammenschlüsse anbahnen können, die eine solche Simultanzulassung ermöglichen.

6. Die Entscheidung des BVerfG ist zu begrüßen: Sie räumt mit einer weiteren Ungleichbehandlung der Anwälte in der Bundesrepublik auf und führt auch in der Frage der Simultanzulassung zu Rechtsvereinheitlichung. Der letzte - ebenfalls notwendige - Schritt zur Rechtsvereinheitlichung auf diesem Gebiet steht noch aus: Die Abschaffung des Gebührenabschlages für die Anwälte in den neuen Bundesländern.