ZAP 1999, Fach 5, Seite 137

Das Ständige Münchner Bauschiedsgericht

Von Rechtsanwalt Dr. Ekkehart Reinelt, München

Inhalt

I. Allgemeine Überlegungen zum Schiedsverfahren
II. Besonderheiten des Konzepts des Ständigen Münchner Bauschiedsgerichts
III. Organisation des Ständigen Münchner Bauschiedsgerichts
IV. Konstituierungsphase
V. Verfahrensgrundsätze
Vl. Kostenregelung

I. Allgemeine Überlegungen zum Schiedsverfahren

1. Am 1. 7. 1997 hat das Ständige Münchner Bauschiedsgericht seine Tätigkeit aufgenommen. Es hat sich zum Ziel gesetzt, Streitigkeiten des privaten Baurechts, orientiert an praktischen Bedürfnissen der Bauwirtschaft, rasch und effizient zu entscheiden. Ungeachtet seines Sitzes in München befaßt es sich überregional mit Streitigkeiten aus dem Gebiet des Baurechts aus der gesamten Bundesrepublik (zur Reform des Schiedsverfahrensrechts nach den §§ 1025 ff. ZPO vgl. BOSCH ZAP E 13, S. 787 ff.).

Wer regelmäßig in der Praxis mit Baurecht und insbesondere Bauprozessen zu tun hat, hat die Erfahrung gemacht, daß die staatliche Gerichtsbarkeit häufig nicht mehr in der Lage ist, baurechtliche Streitigkeiten in erträglichen Zeiträumen abzuwickeln.

Die Ursachen hierfür sind vielfältig. Sie liegen zum einen darin, daß es gerade in Bausachen sehr kompliziert ist, den Sachverhalt genau zu ermitteln und aufzuarbeiten. Besonders erschwert wird die Sachverhaltsermittlung in der Praxis häufig dadurch, daß diese Aufarbeitung zum Teil erst Jahre nach der Bauabwicklung in einem gerichtlichen Verfahren erfolgt und die Dokumentation nicht präzise genug ist, um die längst abgeschlossenen Sachverhalte lange Zeit später ausreichend transparent zu machen.

Die Ursachen liegen des weiteren aber auch im Verfahrensrecht, nämlich in den starren Regeln der ZPO, die es notwendig machen, jeden Streitpunkt bis ins Letzte durch eine Beweisaufnahme zu verfolgen.

Weiter ist festzustellen, daß die Gerichtsorganisation in baurechtlichen Streitigkeiten den Parteien gelegentlich Richter zuteilt, denen die nötige Kompetenz und das nötige Fachwissen fehlen. Das gilt nicht so sehr für die Richter in den Kammern oder Senaten für Bausachen, die i. d. R. über erhebliche Erfahrung und hervorragende Kenntnisse verfügen. Bei den Kammern für Handelssachen muß man allerdings häufig die Erfahrung machen, daß manche Richter keine Spezialkenntnisse auf dem Gebiet des Baurechts haben.

2. Schiedsverfahren versuchen schon seit langer Zeit einen Ausweg aus der dargestellten Misere zu finden. Über die allgemeinen Vor- und Nachteile von Schiedsverfahren sollen hier keine grundsätzlichen Ausführungen gemacht werden. Festgehalten sei nur dies: Private Schiedsgerichte können häufig schneller und einfacher prozedieren, es gibt keinen Instanzenzug und die damit verbundene Vermehrung von Kosten.

Es kann nicht bestritten werden, daß Schiedsverfahren auch Nachteile haben. So entstehen z. B. Probleme beim Versuch der Einbindung von nicht am Verfahren Beteiligten durch Streitverkündung. Doch sollte man diese Schwierigkeit nicht überbewerten. Zum einen kann dem bereits bei der Vertragsgestaltung dadurch Rechnung getragen werden, daß die Zuständigkeit des Schiedsgerichts bei einem Bauvorhaben mit allen Beteiligten, also nicht nur mit den Unternehmen, sondern auch mit Architekten und Planern, vereinbart wird. Zum anderen wird ein Schiedsspruch, auch wenn er nur zwischen den Parteien wirkt, in aller Regel auch bei Auseinandersetzungen mit Dritten vom dann entscheidenden ordentlichen Gericht nicht einfach übergangen.

3. a) Die Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern ist ebenfalls ab Juli 1997 mit der Gründung eines Schiedsgerichts hervorgetreten. Die IHK für München und Oberbayern ist Mitglied in der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit, die eine Schiedsgerichtsordnung anbietet. Die Konstituierung des Schiedsgerichts nach der DIS-Schiedsgerichtsordnung erfolgt herkömmlich durch Benennung der Schiedsrichter durch die beiden Parteien und durch die Wahl eines Obmanns. Im Nichteinigungsfall wird dieser durch den Benennungsausschuß der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit ernannt. Das Verfahren richtet sich nach freiem Ermessen des Schiedsgerichts. Das Schiedsgericht der IHK ist für alle Streitigkeiten, die schiedsgerichtsfähig sind, bestimmt, also nicht wie dasjenige des Ständigen Münchner Bauschiedsgerichts vor allem auf Baurecht spezialisiert.

b) Die ARGE Baurecht im DAV hat weiterhin eine Schlichtungs- und Schiedsverfahrensordnung für Baustreitigkeiten (SSO-Bau) im Oktober 1997 veröffentlicht. Dieses wiederum auf Baurecht spezialisierte Schiedsverfahren sieht zusätzlich (fakultativ) ein Schlichtungsverfahren vor, in dessen Rahmen der Schlichter die Parteien einzeln und auch in Abwesenheit .der anderen Partei befragen kann. Wenn das Schlichtungsverfahren scheitert, kann das Schiedsgerichtsverfahren eingeleitet werden. Auch hier benennen die Parteien die Beisitzer, die ihrerseits den Obmann bestimmen. Im Nichteinigungsfall wird dieser vom Präsidenten des Deutschen AnwaltVereins benannt. Das Schiedsverfahren bestimmt sich im wesentlichen nach den Vorschriften der ZPO.

II. Besonderheiten des Konzepts des Ständigen Münchner Bauschiedsgerichts

Das Ständige Münchner Bauschiedsgericht kann wie jedes andere Schiedsgericht nur tätig werden, wenn es angerufen wird und seine Zuständigkeit vereinbart ist (zum Wahlrecht des Klägers zwischen staatlichem und Schiedsgericht bei einer formularmäßigen Schiedsgerichtsklausel vgl. BGH NJW 1999, 282 f. = ZAP E 13, S. 799 f. m. Anm. NOTTHOFF). Es verfügt über eine ständige Schiedsordnung, die in ausführlichen Gesprächen zwischen Fachleuten im Jahre 1997 entwickelt worden ist. Das Ständige Münchner Bauschiedsgericht verfügt ferner über eine Liste von ca. 60 Schiedsrichtern, insbesondere Rechtsanwälten und Richtern, die eine langjährige Praxis speziell im Baurecht haben. Zu diesen Schiedsrichtern gehören bekannte Verfasser von baurechtlichen Kommentaren und Handbüchern, ebenso wie Vorsitzende Richter von Bausenaten am OLG München und den Baukammern beim LG München 1. Darüber hinaus verfügt das Ständige Münchner Bauschiedsgericht über eine Liste von rund 65 mit dem Ständigen Münchner Bauschiedsgericht zusammenarbeitenden Sachverständigen. Von anderen Gründungen unterscheidet sich die Struktur des Ständigen Münchner Bauschiedsgerichts vor allem in folgendem:

• Rascheres und effektiveres Verfahren in der Konstituierungsphase durch Bestimmung der Schiedsrichter von seiten des Ständigen Münchner Bauschiedsgerichts i. S. des § 315 BGB (Einzelheiten s. u. IV).

• Konsequente Verwirklichung des Präklusions- und Beschleunigungsgrundsatzes.

• Freies Ermessen für das Verfahren und damit die Möglichkeit, wirtschaftlich unbedeutende Fragen unter Beachtung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs vereinfacht unter Anwendung des § 287 ZPO zu entscheiden.

• Spezialisierung vor allem auf privates Baurecht, insbesondere durch die Auswahl der Schiedsrichter.

• Installierung eines baubegleitenden Schiedsrichters (s. u. V 3).

III. Organisation des Ständigen Münchner Bauschiedsgerichts

Träger des Ständigen Münchner Bauschiedsgerichts ist eine BGB-Gesellschaft, bestehend aus den Rechtsanwälten Dr. EKKEHART REINELT und Dr. HANS-GOTTFRIED STROHM. Diese BGB-Gesellschaft ist durch einen Kooperationsvertrag verbunden mit dem Ständigen Beratenden Ausschuß, der sich aus den Herren Dr. MERL (Mitverfasser des "Handbuch des privaten Baurechts", Vorsitzender Richter am OLG München), FRIKELL und Dr. HOFMANN (Herausgeber des "Baurechtsreport", Lehrbeauftrage für Baurecht) zusammensetzt. Sämtliche Änderungen des Gesellschaftsvertrages und jede Benennung von Schiedsrichtern bedürfen nach dieser Vereinbarung im Innenverhältnis zum Ständigen Münchner Bauschiedsgericht der Zustimmung des Beratenden Ausschusses. Damit ist ein sachgerechtes und objektives Auswahlverfahren in bezug auf die Schiedsrichter sichergestellt.

Der nach Gesellschaftsvertrag vorgesehene Beirat wird gebildet aus prominenten Vertretern des Rechts- und Bauwesens. Er setzt sich derzeit zusammen aus folgenden Persönlichkeiten: Dr. JÜRGEN F. ERNST, Präsident der Rechtsanwaltskammer für München und Oberbayern; RA GERHARD HESS, Hauptgeschäftsführer des Bayerischen Bauindustrieverbandes e. V.; Prof. Dipl.-Ing. PETER KAUP, Präsident der Bayerischen Architektenkammer; RA Dr. NILS KLEINEMÖLLER, Hauptgeschäftsführer der Bayerischen Baugewerbeverbände und Prof. Dipl.-Ing. KARL KLING, Präsident der Bayerischen Ingenieurkammer Bau.

IV. Konstituierungsphase

Wenn das Ständige Münchner Bauschiedsgericht vereinbart und angerufen wird, stellt dieses so rasch als möglich ein geeignetes Einzelschiedsgericht zusammen. Dieses kann bei Streitwerten bis zu 200.000 DM und im besonderen Fall der baubegleitenden Tätigkeit (s. u. V 3) durch einen Schiedsrichter besetzt sein. 1. d. R. wird es jedoch aus drei Schiedsrichtern aus dem erwähnten Kreis kompetenter Schiedsrichterfachleute gebildet.

Dabei macht die Geschäftsführung des Ständigen Münchner Bauschiedsgerichts den Parteien zunächst einen Vorschlag für die Besetzung des Schiedsgerichts mit geeigneten und kurzfristig verfügbaren Schiedsrichtern. Den Vorschlag können die Parteien oder eine von ihnen kurzfristig ablehnen. Lehnen sie ab, oder reagieren sie innerhalb einer gesetzten Frist nicht, gelten die zunächst benannten Schiedsrichter von den Parteien als abgelehnt. In diesem Fall kann das Ständige Münchner Bauschiedsgericht in einem zweiten Schritt aufgrund der vereinbarten Schiedsordnung den Parteien mit verbindlicher Wirkung die Zusammensetzung eines Schiedsgerichts vorschreiben. Selbstverständlich dürfen in der Person der Schiedsrichter keine Ablehnungsgründe vorliegen. Dieses im Einzelfall konstituierte Schiedsgericht führt dann das Verfahren auf der Basis der vereinbarten Schiedsordnung durch. Dabei kann es begleitende Dienstleistungen einer in den Büroräumen des Ständigen Münchner Bauschiedsgerichts ansässigen Verwaltungsgesellschaft in Anspruch nehmen, z. B. die Geschäftsstellenarbeit.

V. Verfahrensgrundsätze

Die Schiedsordnung des Ständigen Münchner Bauschiedsgerichts unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von der ZPO.

1. Die Konzentrations-, Beschleunigungs- und Präklusionsgrundsätze werden streng gehandhabt. Besonders wichtig erscheint es aber vor allem, daß die Schiedsordnung ein wesentlich freieres Ermessen der Schiedsrichter bei der Entscheidung von Einzelpunkten ermöglicht, bei denen nach der ZPO umfangreiche Beweisaufnahmen erforderlich wären. Nach der ZPO ist es bekanntlich nicht möglich, prozeßökonomischen Grundsätzen bei gerichtlichen Entscheidungen den Vorrang vor strikten Beweiserhebungen zu geben. Der ZPO liegt die Vorstellung zugrunde, daß der Sachverhalt mit allen zulässigen Beweismitteln grundsätzlich bis ins letzte Detail geklärt werden muß, bevor der Richter seine Überzeugungsbildung i. S. des § 286 ZPO gewinnt und dann entscheiden kann. Allerdings gibt es auf einigen Gebieten, leider nicht im Baurecht, bereits jetzt erkennbare Lockerungen dieser Grundsätze. So hat z. B. die Rechtsprechung auf dem Gebiet des Verkehrsrechts bei der Prüfung haftungsausfüllender Kausalität und von Schadensfolgen eine erhebliche Ausdehnung des § 287 ZPO vorgenommen; hier genügt zur Bejahung von Schadensfolgen und Schadensumfang nach einer vom Vl. Zivilsenat des BGH entwickelten Rechtsprechung schon eine Wahrscheinlichkeit von 51 % gegenüber der bisherigen in der Rechtsprechung praktizierten nahezu 100%igen Gewißheit (vgl. BGH NJW 1992, 3298). Der § 404a ZPO deutet ebenfalls darauf hin, daß der Gesetzgeber die Tendenz verfolgt, in diesem Bereich zur Beschleunigung und zu stärkerer Kooperation zwischen Richtern und Sachverständigen zu finden.

Das Ständige Münchner Bauschiedsgericht will diese Ansätze - unter strenger Beachtung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs - in den Bauschiedsverfahren möglichst weitgehend umsetzen und fortführen. So ist z. B. zu denken an die komplizierten Fälle einer Verzahnung der Verantwortungsbereiche von Architekten, Bauherr und Bauunternehmern bei Bauverzögerungen, Vorgänge, die praktisch kaum noch lösbar sind, wenn man sie bis ins Letzte aufklären will. Das Ständige Münchner Bauschiedsgericht geht davon aus, daß es in solchen Fällen sinnvoll und möglich ist, weitgehend von der Schätzungsmöglichkeit nach § 287 ZPO Gebrauch zu machen und Verantwortungsanteile sachgerecht auch ohne Klärung bis ins letzte Detail im Wege der Schätzung aufzuteilen.

2. Auch der Verfahrensablauf ist unter dem Gesichtspunkt des Beschleunigungsgrundsatzes freier gestaltet worden. So kann das Schiedsgericht z. B. zusammen mit Sachverständigen die Baustelle schon vor dem ersten Termin besichtigen. Es kann aus Gründen der Prozeßökonomie in weitgehendem Umfang unter Berücksichtigung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs von der Möglichkeit freier Schätzung und der Zurückweisung verspäteten Vorbringens Gebrauch machen.

3. Eine schon erwähnte Besonderheit, durch die sich das Verfahren nach der Schiedsordnung des Ständigen Münchner Bauschiedsgerichts von anderen Schiedsordnungen vergleichbarer Gründungen unterscheidet, ist die Einrichtung eines baubegleitenden Schiedsrichters. Dieser hat die Aufgabe, wenn er von den Parteien angerufen wird, während eines laufenden Bauvorhabens bei der Vertragsdurchführung und Abwicklung, auch in der Gewährleistungsphase, rechtlich verbindliche Zwischenentscheidungen zu treffen, die bei Fortführung der Baustelle einer eiligen Entscheidung bedürfen. Die Zwischenentscheidungen sind dann für eine spätere Auseinandersetzung zwischen den Parteien bindend. Die Einschaltung eines solchen baubegleitenden Schiedsrichters ersetzt einerseits ein gerichtliches Beweisverfahren (das die Schiedsordnung im Gegensatz z. B. zur Schlichtungs- und Schiedsverfahrensordnung für Baustreitigkeiten SSO-Bau nicht vorsieht [s. o. V 21) und andererseits einstweilige Maßnahmen wie Arrest oder einstweilige Verfügung (die unabhängig davon beim ordentlichen Gericht beantragt werden können).

Vl. Kostenregelung

Die Vergütung der Schiedsrichter (orientiert an den Vorschriften der BRAGO) entspricht den üblichen Gebühren im Schiedsverfahren. Zusätzlich erhält das Ständige Münchner Bauschiedsgericht für seine Tätigkeit eine einmalige (7,5/1o) Geschäftsgebühr, mit der die allgemeinen Kosten des Schiedsgerichts abgegolten sind. Der baubegleitende Schiedsrichter wird auf Stundenbasis vergütet. Für dessen Einsetzung erhält das Ständige Münchner Bauschiedsgericht eine einmalige Vergütung von 500 DM zzgl. Mehrwertsteuer.