ZAP Kolumne 2016, Heft Nr. 18, Seite 939

ZAP Kolumne

Verfassungswidrigkeit des Regierungsentwurfs zum Bauvertragsrecht?
Prof. Dr. Ekkehart Reinelt, Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof

Der Entwurf der Bundesregierung zum Bauvertragsrecht vom 18.5.2016 (BT-Drucks 18/8486) befindet sich derzeit im Gesetzgebungsverfahren. Nach erster Lesung im Bundestag am 10.6.2016 und einer Stellungnahme des Bundesrats wurden am 22.6.2016 Sachverständige im Rechtsausschuss angehört. Mit Inkrafttreten des Gesetzes rechnet man im Jahr 2017. Heftig umstritten ist dabei insbesondere ein gesetzlich vorgesehenes Anordnungsrecht des Bauherren nach § 650b BGB-E. Eine solche Anordnung kann sich auf Änderungen des Werkerfolgs oder auch auf notwendige Änderungen zur Erreichung des vereinbarten Werkerfolgs beziehen. Ulrich Battis, emeritierter Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin für öffentliches Recht, jetzt of-counsel-Anwalt der Kanzlei Gleiss Lutz in Berlin, vertritt in einem Gutachten vom 17.5.2016, erstellt im Auftrag des Bauindustrieverbands, die Auffassung, der Regierungsentwurf zum Bauvertragsrecht sei wegen des vorgesehenen Anordnungsrechts verfassungswidrig.

Er hatte bereits am 22.9.2009 im Auftrag der Bauindustrie zur Neufassung des BauFordSiG in einem früheren Gutachten („Praxistauglichkeit und Rechtmäßigkeit des BauFordSiG aus wirtschafts-, insolvenz- und verfassungsrechtlicher Sicht“, www.bauindustrie.de, November 2009) seine Meinung verkündet, die Neuregelung des BauFordSiG verstoße nicht nur gegen geltendes Insolvenzrecht, sondern auch gegen Verfassungsgrundsätze: die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG), den Bestimmtheitsgrundsatz (Art. 20 Abs. 3 GG), den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) und weitere Vorschriften. Diese Auffassung wurde vom Bundesverfassungsgericht nicht geteilt. Es hat im Gegenteil die novellierte Fassung des BauFordSiG vom 23.10.2008 als verfassungskonform bestätigt (BVerfG, Beschl. v. 27.1.2011 – 1 BvR 3222/09). Die entsprechende Verfassungsbeschwerde wurde zur Entscheidung nicht angenommen. Grundrechtverletzungen seien nicht hinreichend substantiiert dargelegt.

Nunmehr wiederholt Battis seine These von der Verfassungswidrigkeit, jetzt zum Regierungsentwurf Bauvertragsrecht. Dieser sei wegen der vorgesehenen einseitigen Anordnung des Bauherren (§ 650b BGB-E) verfassungsrechtlich nicht haltbar. Auf Seite 10 des Gutachtens heißt es dazu:

„Zwar hat der Bauvertragsunternehmer im Falle einer solchen Anordnung gem. § 650c Abs. 1 BGB-E auch Anspruch auf entsprechend angepasste Vergütung. Das ändert jedoch nichts daran, dass insoweit seine eigenverantwortliche Vertragsabschlussfreiheit (was den Abschluss des Änderungsvertrags angeht) und seine Vertragsgestaltungsfreiheit (was die Ausgestaltung des Änderungsvertrags angeht) eingeschränkt wird. Schon dies führt zur Bejahung eines Eingriffs in die hier von Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Vertragsfreiheit.“

Die im Entwurf erstmals vorgesehene gesetzliche Möglichkeit des Bauherren, verbindliche Anordnungen zur Änderung der Leistungen im Bauvertrag zu erteilen, verstoße demnach gegen das Prinzip der Vertragsfreiheit und den Grundsatz „pacta sunt servanda“. Das Anordnungsrecht des Bestellers nach § 650b BGB-E stelle wegen eines zu weiten Anwendungsbereichs und mangels einer umfassenden Ausnahmeregelung bei Unzumutbarkeit der Anordnung für den Bauunternehmer eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung der Vertragsfreiheit der betroffenen Bauunternehmer dar und sei deshalb verfassungswidrig.

Diese Auffassung überrascht. Seit Jahrzehnten ist ein einseitiges, inhaltliches Anordnungsrecht des Bauherren in Baupraxis und Baurecht anerkannt. Allerdings beruht es nach Maßgabe der VOB/B letztlich auf einer vertraglichen Vereinbarung, nicht einer gesetzlichen Regelung. Denn die VOB/B muss ja, um zwischen den Parteien Gültigkeit zu erlangen, vereinbart werden. Bei der in der Praxis verbreiteten Vereinbarung der VOB ist ein solches Anordnungsrecht aber seit eh und je selbstverständlich. Inhaltlich strittig blieb bis heute allerdings noch, ob ein solches Anordnungsrecht auch auf zeitliche Dispositionen erstreckt werden soll. Die Anordnung im Rahmen abgeschlossener Verträge durch den Bauherren ist jedoch ständige, seit Jahrzehnten geübte Baurechtspraxis.

Der etablierte Begriff „Anordnung“ könnte zu dem Missverständnis führen, der Bauunternehmer sei dem Willen des Auftraggebers schutzlos ausgeliefert. Vor Willkür wird der Unternehmer aber schon dadurch geschützt, dass der Auftraggeber angeordnete Zusatzleistungen bezahlen muss (in der vorgesehenen Neuregelung gem. § 650c BGB-E).

Zwar gibt es für ein Anordnungsrecht bislang keine entsprechende Regelung im BGB. In § 1 Abs. 3 und 4 VOB/B ist jedoch ein solches Anordnungsrecht schon verankert. Es kommt seit vielen Jahren bei den allermeisten Bauvorhaben, regelmäßig bei Vereinbarung der VOB/B, zur Anwendung. Jeder, jedenfalls jeder nicht ganz einfache Bau käme zum Erliegen, wenn es ein solches Anordnungsrecht nicht gäbe. Die Baupraxis kann ohne ein solches einseitiges, inhaltliches Anordnungsrecht, über dessen Grenzen man sicherlich diskutieren muss, nicht leben. Es überrascht daher, dass hier in Abweichung von jahrzehntelang anerkannter Baupraxis plötzlich erneut das Gespenst der Verfassungswidrigkeit beschworen wird (angeblicher Verstoß gegen die Vertragsfreiheit). Die Auffassung von der Verfassungswidrigkeit des Entwurfs in Bezug auf ein einseitiges Anordnungsrecht des Bauherren verkennt nach meiner Überzeugung die notwendigen sachgerechten Gestaltungen im Baurecht: Warum soll eine sachlich notwendige, bewährte und seit Jahrzehnten akzeptierte Regelung gegen verfassungsrechtliche Grundsätze verstoßen? So recht einsichtig erscheint das nicht. Der Grundsatz „pacta sunt servanda“ (und damit die grundsätzlich geschützte Vertragsfreiheit des Unternehmers) schließt – wie schon die Regelungen über die Geschäftsgrundlagen belegen – eine Anpassung an einen dynamischen Prozess keinesfalls aus. Wäre der Satz „pacta sunt servanda“ so zu verstehen, dass in Dauerschuldverhältnissen keine Veränderungen möglich sind, könnte auch das einseitige Recht des Vermieters zur Erhöhung der Miete im Rahmen eines Mietverhältnisses nach den gesetzlichen Vorschriften als verfassungswidrig beurteilt werden. Auch ist beispielsweise die Bestimmung der Leistung durch eine Partei oder sogar durch einen Dritten schon heute Bestandteil allgemein geltenden Schuldrechts (§§ 315 ff. BGB). Warum sollte im Rahmen eines als Dauerbeziehung angelegten Bauvertrags ein solches Bestimmungsrecht verfassungswidrig sein?

Anders als bei Kaufverträgen verändert sich im Laufe eines umfangreicheren Bauvorhabens die Notwendigkeit von Ausführungsdetails des Bauvorhabens immer wieder. Dabei kann es entweder darum gehen, den Leistungserfolg mit anderen im Vertrag ursprünglich vorgesehenen Leistungen zu erzielen, oder aber auch darum, den Leistungserfolg selber zu verändern. Die vom VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs entwickelte Kooperationspflicht hält die Parteien dazu an, jeweils alles dazu beizutragen, dass das Bauvorhaben verwirklicht werden kann. Aber was, wenn man sich nicht einigt? In diesen Fällen kommt die Baupraxis ohne das Anordnungsrecht des Bauherren nicht aus. Was soll beispielsweise geschehen, wenn die Genehmigungsbehörde im Rahmen einer erst später erteilten Auflage etwa die Schaffung eines zusätzlichen Parkplatzes oder eine aus Sicherungsgründen notwendige andere Balkonbrüstung verlangt? Soll der Bauunternehmer dann wirklich diese Leistung nach einer Anordnung des Bestellers verweigern dürfen? Mit einer derart überzogenen Befugnis des Unternehmers wäre die Bautätigkeit grundsätzlich blockiert. Der Bauunternehmer könnte sich der Ausführung so gut wie jeden Baues folgenlos entziehen. Das notgedrungen dynamische Baugeschehen bedarf solcher Anordnungsrechte, um überhaupt zu funktionieren. Die Frage kann und muss nur sein, wie dann Vergütungsfolgen zu regeln sind. Eine Verfassungswidrigkeit des einseitigen Anordnungsrechts, das ja nicht uneingeschränkt, sondern im Bauvertragsentwurf nur im Rahmen der Zumutbarkeit gegeben sein soll, kann ich nicht erkennen. Sicher hat Battis Recht, dass man über die Grenzen der Zumutbarkeit einer Ablehnung durch den Unternehmer im Einzelnen wird diskutieren müssen. Dabei handelt es sich jedoch im Wesentlichen um Abgrenzungs- und Auslegungsfragen. Ob sie allerdings verfassungsrechtliche Relevanz haben, scheint fraglich.

Der Regierungsentwurf zum Bauvertragsrecht sieht vor, dass zum ersten Mal das in vertraglichen Vereinbarungen übliche, in der Praxis anerkannte einseitige Anordnungsrecht des Bestellers auch gesetzlich geregelt werden soll, einschließlich einer daraus folgenden Vergütungsanpassung für den Unternehmer (§ 650b und c BGB-E). Das Ziel der Regelungen – sowohl in der VOB/B als auch im neuen Bauvertragsrecht – besteht darin, Streitigkeiten über die zusätzliche Vergütung des Bauvorhabens zu vermeiden und insbesondere zu verhindern, dass das Bauvorhaben insgesamt ins Stocken gerät und damit ein weit höherer Schaden produziert wird.

Bei dem geplanten Anordnungsrecht nach § 650b BGB-E ist zu unterscheiden zwischen Änderungen des Werkerfolgs und notwendigen Änderungen zur Erreichung des vereinbarten Werkerfolgs. Vorgesehen ist in beiden Fällen: Die Parteien sollen sich vorweg über die Vergütungsfolge einigen. Grundsätzlich hat der Bauunternehmer ein Angebot für die zusätzlichen Arbeiten vorzulegen. Bei Änderung des Werkerfolgs ist der Unternehmer allerdings nur dann zur Vorlage eines Angebots verpflichtet, wenn ihm die Änderung zumutbar ist. Können die Parteien sich bei einem Änderungswunsch über die Kostenfolge nicht einigen, entsteht das einseitige Anordnungsrecht, wobei auch hier bei Änderung des Werkerfolgs der Unternehmer nur zur Ausführung zumutbarer Änderungen verpflichtet ist. Dann erfolgt nach § 650c BGB-E eine Vergütungsanpassung, berechnet entweder nach tatsächlich entstehenden Kosten oder ermittelt auf der Basis der hinterlegten Urkalkulation. In der Folge gibt es bei Nichteinigung die Möglichkeit der Streitschlichtung durch Sachverständige und/oder einstweiligen Rechtsschutz. Nach der vorgesehenen Fassung des Gesetzes sind für einstweilige Verfügungen nach der allgemeinen Zuständigkeitsregelung entsprechend GVG unter Umständen nicht mit dem Baurecht vertraute Richter einzusetzen. Ich habe es selbst in der Praxis erlebt: Der eine oder andere blätterte in einer – ggf. anberaumten – mündlichen Verhandlung erst im Inhaltsverzeichnis von VOB-Kommentaren, um die einschlägigen Regelungen überhaupt zu finden. Die Einsetzung baurechtlich nicht vorgebildeter Richter für einstweilige Verfügungen in diesen Fällen fördert nicht den Rechtsfrieden, sondern nur Justizverdrossenheit.

Unabhängig davon: Die Implementierung eines Anordnungsrechts des Bauherren in die Vorschriften des BGB entspricht der jahrzehntelangen Baupraxis. Es gibt keine größeren Bauvorhaben ohne Änderungen oder zusätzliche Leistungen. Ohne das Anordnungsrecht des Bauherren ist trotz der in Bauindustrie geäußerten Widerstände ein Bauvorhaben kaum sachgerecht abzuwickeln. Battis hält in seinem Gutachten (S. 24/25) die Stellung von Bauunternehmern mit derjenigen von Verbrauchern im Vertragsverhältnis für vergleichbar. Von einem solchen Machtgefälle zugunsten des Bauherren und zu Lasten des Bauunternehmers im Rahmen von baurechtlichen Vereinbarungen kann man jedoch nach meiner Überzeugung nicht ausgehen. In der Baupraxis handeln die Vertragsparteien i.d.R. (mit eher seltenen Ausnahmen) auf Augenhöhe. Die Frage kann nur sein, wie ein Anordnungsrecht sinnvoll zu begrenzen ist. Das geschieht etwa durch den Gesichtspunkt der Zumutbarkeit, der allerdings nach Auffassung von Battis im Entwurf nicht ausreichend klar fassbar sein soll. Entscheidend ist dann lediglich die Frage, welche Rechtsfolgen sich für die Vergütung des Unternehmers ergeben sollen. Vorgesehen ist: Anpassung der Vergütung nach tatsächlichen oder aus der Urkalkulation herzuleitenden Kosten. Der Grundsatz „pacta sunt servanda“, also der Schutz der Vertragsfreiheit, kann jedenfalls nach meiner Überzeugung für sich genommen die gesetzliche Regelung eines solchen Anordnungsrechts im Bauvertrag nicht verfassungswidrig machen.