ZAP Kolumne 2014, Seite 651

ZAP Kolumne

Plädoyer im Zivilprozess?
Prof. Dr. Ekkehart Reinelt, Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof

Wikipedia verwendet den Begriff des Plädoyers nur im Zusammenhang mit Strafverfahren. Bei vielen Gerichten ist es im Zivilprozess auch verpönt (Ein Vorsitzender Richter der Münchener Gerichte zu einem Berliner Anwalt, der sich gerade in eine dramatische Honoré-DaumierPose geworfen hatte: „Hier wird nicht plädiert!“). Während in Süddeutschland Plädoyers von Anwälten eher kritisch gesehen werden und die mündliche Verhandlung in Dialogform abläuft, sind Plädoyers im Norden der Republik, beispielsweise in Berlin, und vor allem natürlich auch vor dem Bundesgerichtshof (BGH), an der Tagesordnung. Das Plädoyer hat daher durchaus – jedenfalls bei manchen, insbesondere norddeutschen Gerichten – auch im Zivilprozess Bedeutung.

Die mündliche Verhandlung selber gilt unbestritten als der Kern des Prozesses. Kaum ein Prozess findet ohne sie statt (Ausnahme: schriftliches Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO, das im Einverständnis mit beiden Parteien in eindeutig liegenden oder klaren Fällen gewählt werden sollte). Aber in der Regel verhandeln die Parteien nach der Vorstellung des Gesetzes vor dem erkennenden Gericht mündlich (§ 128 Abs. 1 ZPO) und stellen ihre Anträge durch Bezugnahme auf Schriftsätze (§ 137 Abs. 3 ZPO). Die mündliche Verhandlung – mit der persönlichen Interaktion zwischen Anwälten und Gericht – folgt anderen Regeln als das geschriebene Wort. Natürlich bestimmen die Schriftsätze der Parteien in erster Linie den Verlauf und das Ergebnis des Prozesses. Die Bereitschaft der Richter, sich mit abweichenden Meinungen noch in der mündlichen Verhandlung zu befassen, ist auch durchaus unterschiedlich ausgeprägt. Das gilt nicht nur für die Instanz, sondern auch die Verhandlung vor dem BGH.

Auf idealistische Vorstellungen muss man allerdings in Bezug auf den Erfolg einer mündlichen Verhandlung (wie gelegentlich auch in der Instanz) verzichten. Die Marschroute wird im Wesentlichen durch die Schriftsätze der Parteien festgelegt. Dabei ist für BGH-Anwälte durchaus eine hohe Frustrationstoleranz nötig: Der größte Teil der von BGH-Anwälten sorgfältig begründeten Nichtzulassungsbeschwerden wandert – angesichts der geringen Quote der Revisionszulassungen – in den Papierkorb, ohne dass die Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde durch den BGH Gründe i. S. d. § 543 Abs. 2 ZPO erkennen lässt. Das ist zwar rechtlich zulässig (§ 544 Abs. 4 S. 2 ZPO), gibt den Parteien und Anwälten aber Steine statt Brot. Zur Rechtsfortbildung trägt es jedenfalls nicht bei. Ob der Gesetzgeber sich die begründungslose Zurückweisung nicht eher als Ausnahmefall vorgestellt hat? (Zu den verfassungsrechtlichen Bedenken der begründungslosen Leerläufe vgl. ZUCK NJW 2008, 479). In der Praxis ist diese Form der Entscheidung jedenfalls die Regel. Wenn man dennoch ausnahmsweise die Zulassung der Revision erreicht: Kann man dann als Anwalt in der mündlichen Verhandlung mit einem Plädoyer vor dem BGH wirklich noch etwas bewirken? Die Anwälte bemühen sich natürlich nachdrücklich darum. Es macht durchaus Freude, vor den Senaten des BGH zu plädieren. Anders als gelegentlich in der Instanz begegnet man dort ausnahmslos hochqualifizierten Richtern ohne jede Attitude von unsicherer Scheinautorität. Ich denke aber, der Einfluss eines Plädoyers ist meistens gering. Man bewegt in der mündlichen Verhandlung nur gelegentlich etwas, und das auch nur bei sehr souveränen Richtern, die die Bereitschaft haben, auch einmal von der Marschroute der Vorberatung abzuweichen.

Wie sollte man plädieren? Aus meiner Sicht ist dringend zu raten, einen Vortrag nicht vom Blatt abzulesen. Sonst stellt man sicher, dass niemand zuhört. Wer Richter gewinnen will, muss frei sprechen (MENTZEL, Rhetorik, 2. Aufl. 2012, S. 71). Am besten wirkt der Vortrag in der mündlichen Verhandlung, wenn der Hörer den Eindruck hat, er erlebe das „Verfertigen der Gedanken“ während der Rede (HEINRICH VON KLEIST über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden, 1805/1806). Im anwaltlichen Plädoyer ist es allerdings anders als in der Vorstellung von HEINRICH VON KLEIST: Der Anwalt weiß, was er sagen will und wie er schließen wird. Dennoch fesselt er den Zuhörer eher, wenn er nicht ein fertiges Produkt, sondern eine langsam sich entwickelnde Argumentation in freier Rede und mit einfachen Sätzen präsentiert. Das bedeutet: Er muss mit dem Gegenstand seiner Rede (also mit dem Inhalt der Akte und den relevanten Rechtsfragen) vertraut sein (TONIO WALTER, Kleine Rhetorikschule für Juristen, S. 306) und Ziel und Inhalt seines Plädoyers kennen.

Um sich selber und dem Hörer zu erleichtern, den Gedankengängen zu folgen, schlage ich vor, was auch in Begründungsschriftsätzen für eine Nichtzulassungsbeschwerde oder Revision nützlich ist: Dem Hörer werden zu Beginn die Schwerpunkte der folgenden Rede kurz aufgezeigt und dann im Detail ausgeführt. Der Richter hat dann, was seine Aufmerksamkeit verstärkt, Ziel und Gedankengang des Plädoyers von Anfang an im Kopf.

Im Hauptteil legt man detailliert die eigene Auffassung zu den jeweiligen Schritten dar, allerdings deutlich knapper als in Schriftsätzen. Wer perfektionistisch sämtliche Details aus dem schriftsätzlichen Vortrag wiederholt und - das sollte jedenfalls im Regelfall gelten – länger als 20 Minuten spricht, fördert richterlichen Schlummer. Es genügt, die wesentlichen Punkte zu betonen.

Die meisten Vorsitzenden lassen bei der Einführung die Marschroute, die das Gericht sich vorstellt, bereits erkennen. Auf die für die eigene Position kritischen Punkte ist deshalb besonderes Augenmerk zu legen. Das erfordert unter Umständen Flexibilität und Veränderung der gedanklich zurechtgelegten Argumentationskette. Vielleicht gelingt es dann im einen oder anderen Fall doch, die eigene Position durch ein gutes Plädoyer zu verbessern und neues Nachdenken anzuregen.

Am Ende sollte man – im Gegensatz zum Usus von Perfektionisten – auf eine Zusammenfassung und Wiederholung aller Argumente verzichten. Das langweilt.

Die letzten Sätze eines Plädoyers bleiben besonders im Gedächtnis. Ein humorvolles Schlusswort oder eine überraschende Pointe sind geeignete Wachrüttler. Der Vorsitzende eines Zivilsenats beim BGH erklärte kürzlich in einem Vortrag:

„Wenn ich nicht weiter wusste, hatte mein Stellvertreter immer einen lateinischen Spruch parat und wir haben den Fall gelöst.“

Latein ist zwar kein Allheilmittel, aber vielleicht nützt eine alte römische Floskel gelegentlich schon. Ich schlage aber vor allem vor zu beherzigen, was TONIO WALTER in seiner hervorragenden kleinen „Rhetorikschule für Juristen“ auf S. 308 treffend formuliert: „Man hat keine zweite Chance, einen ersten Eindruck zu machen, aber: Ende gut, fast alles gut.“