jurisPR-BGHZivilR 15/2013 Anm. 3

Priorität der Leistungsklage gegenüber der Feststellungsklage

BGH 7. Zivilsenat, Urteil vom 04.07.2013 - VII ZR 52/12
von Prof. Dr. Ekkehart Reinelt, RA BGH

Leitsatz
Erhebt der Kläger, der in einem Rechtsstreit eine positive Feststellungsklage erhoben hat, nachfolgend in einem weiteren Rechtsstreit eine Leistungsklage, mit der ein aus demselben streitigen Rechtsverhältnis abgeleiteter Anspruch geltend gemacht wird, steht dem die Rechtshängigkeit der Feststellungsklage nicht entgegen, unabhängig davon, ob mit der Leistungsklage alle von der Feststellungsklage erfassten Ansprüche geltend gemacht werden (im Anschluss an BGH, Urt. v. 21.12.1989 - IX ZR 234/88 - NJW-RR 1990, 1532).

A. Problemstellung
Das Feststellungsinteresse für eine negative Feststellungsklage entfällt nach Erhebung einer Leistungsklage gleichermaßen, ob sie als Widerklage im gleichen Verfahren oder als gesonderte Leistungsklage in einem neuen Verfahren erhoben wird. Die negative Feststellungsklage wird damit unzulässig mit der Folge, dass die Hauptsache für erledigt zu erklären ist (BGH, Urt. v. 21.12.2005 - X ZR 17/03 Rn. 10). Unterbleibt die Erledigungserklärung, ist die negative Feststellungsklage als unzulässig abzuweisen.

Wie aber verhält es sich, wenn eine positive Feststellungsklage erhoben wird, der später eine Leistungsklage in einem neuen Verfahren entgegengesetzt wird?

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger verlangt vom beklagten Architekten Schadensersatz wegen fehlerhafter Planung einer Stadtvilla in München. Der Dachstuhl des Hauses überschreitet die genehmigte Firsthöhe. Aus dieser genehmigungswidrigen Überschreitung leitet der Bauherr Schadensersatzansprüche gegen den beklagten Architekten her.

In einem nach wie vor rechtshängigen Vorverfahren hatte der Kläger unter anderem die positive Feststellung begehrt, dass der Beklagte den Schaden ersetzen solle, der durch den baugenehmigungswidrigen Dachstuhl mit einer Firsthöhe über die zulässige Höhe hinaus entsteht. Das Erstgericht hat die neue Leistungsklage als unzulässig abgewiesen. Die Klageansprüche seien von der bereits zuvor im ersten Verfahren erhobenen Feststellungsklage umfasst. Die dort begründete Rechtshängigkeit stehe daher der jetzigen Leistungsklage entgegen. Das Berufungsgericht hat die Berufung mit Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Die Revision wurde nicht zugelassen.

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hat der VII. Zivilsenat die Revision zugelassen und die Berufungsentscheidung aufgehoben. Er teilt nicht die Auffassung der Vorinstanzen, dass die Klage wegen anderweitiger Rechtshängigkeit unzulässig sei. Zwar schließe § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO grundsätzlich aus, dass eine schon anhängig gewordene Streitsache anderweitig anhängig gemacht wird. Das gelte aber – so der BGH – nur bei voller Identität der Streitgegenstände. Der Streitgegenstand einer Klage auf Feststellung der Verpflichtung zum Schadensersatz wegen eines Mangels und einer auf vollständigen Schadensersatz gerichteten Leistungsklage sei jedoch nicht vollständig identisch. Denn das durch den Klageantrag bestimmte Rechtsschutzziel der Leistungsklage geht über dasjenige einer bloßen Feststellung des streitigen Rechtsverhältnisses hinaus (BGH, Urt. v. 20.01.1989 - V ZR 173/87 - NJW 1989, 2064, 2065; BGH, Urt. v. 07.07.1994 - I ZR 30/92 - NJW 1994, 3107, 3108; BGH, Urt. v. 11.12.1996 - VIII ZR 154/95 - BGHZ 134, 201, 209). Mit dem Leistungsantrag wird eben die Titulierung eines Anspruchs verfolgt, die beim Feststellungsantrag nicht möglich ist. Deswegen reicht das Rechtsschutzziel der Leistungsklage weiter als dasjenige der Feststellungsklage.

Daraus folgt nach Auffassung des VII. Zivilsenats: Erhebt der Kläger nach einer bereits rechtshängigen, positiven (behauptenden) Feststellungsklage eine aus demselben Rechtsverhältnis abgeleitete deckungsgleiche Leistungsklage in einem neuen Verfahren, steht dem die Rechtshängigkeit der Feststellungsklage nicht entgegen. Vielmehr führt auch in diesem Fall die Erhebung der Leistungsklage dazu, dass das für die Feststellungsklage erforderliche rechtliche Interesse grundsätzlich entfällt, jedenfalls dann, wenn die Leistungsklage nicht mehr einseitig zurückgenommen werden kann (BGH, Urt. v. 21.12.1989 - IX ZR 234/88 - NJW-RR 1990, 1532, 1533).

Die Folge: Nicht die später erhobene Leistungsklage ist unzulässig, sondern es wird – wie bei der negativen Feststellungsklage – die positive Feststellungsklage unzulässig.

C. Kontext der Entscheidung
Der IX. Senat des BGH hatte bereits ähnlich entschieden: Erhebt der Kläger einer behauptenden Feststellungsklage zusätzlich eine gesonderte Leistungsklage mit gleichem Streitstoff in einem neuen Verfahren, so entfällt das Feststellungsinteresse, sobald die Leistungsklage nicht mehr einseitig zurückgenommen werden kann, es sei denn, die Feststellungsklage ist zu diesem Zeitpunkt im Wesentlichen entscheidungsreif (BGH, Urt. v. 21.12.1989 - IX ZR 234/88 - NJW-RR 1990, 1532). Diese – vielen nicht bekannte – Entscheidung wird durch das neue Urteil des VII. Zivilsenats bestätigt. Es ist also in der Regel sowohl bei der negativen Feststellungsklage, bei der die entsprechende Rechtsfolge bekannter ist, als auch bei der positiven Feststellungsklage vom Folgenden auszugehen: Die spätere Erhebung einer deckungsgleichen Leistungsklage führt zur Unzulässigkeit der Feststellungsklage und damit zur Notwendigkeit der Hauptsacheerledigung.

Das Problem der Hauptsacheerledigung der Feststellungsklage stellt sich natürlich nur dann, wenn es – wie im vorliegenden Fall – bei Feststellungsklage und Leistungsklage um verschiedene Klageansprüche geht. Stellt der Kläger der positiven Feststellungsklage innerhalb desselben Verfahrens auf Leistungsklage um, handelt es sich um eine zulässige Klageänderung, die keiner Erledigungserklärung bedarf. Vielmehr muss das Verfahren mit der geänderten Klage fortgesetzt werden.

Bei getrennten Klageansprüchen in verschiedenen Verfahren kommt es zur notwendigen Erledigungserklärung selbstverständlich nur dann, wenn die Leistungsklage den gesamten Anspruch abdeckt. Soweit sie nur Teilbereiche des Anspruchs betrifft, bleibt die Feststellungsklage, soweit sie nicht durch die Leistungsklage „überholt“ wird, zulässig und ihre Weiterverfolgung sinnvoll.

Man könnte zunächst Zweifel daran hegen, ob von der Zulässigkeit der im neuen Verfahren erhobenen Leistungsklage auch ohne prozessuale Erklärungen im Feststellungsprozess ausgegangen werden kann. Immerhin besteht ja eine doppelte Rechtshängigkeit und demnach zunächst der Anschein eines Prozesshindernisses nach § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO. Der BGH stellt allerdings für die Zulässigkeit der späteren Leistungsklage nicht auf die vorherige Abgabe prozessualer Erklärungen im Feststellungsprozess ab. Bereits die Erhebung der Leistungsklage (ohne prozessuale Erklärung im Feststellungsprozess) ist zulässig. Sie führt – wenn sie das Anspruchsziel der Feststellungsklage vollständig abdeckt – zur Unzulässigkeit der vorherigen Feststellungsklage.

Diese Beurteilung durch den BGH ist auch richtig und sinnvoll. Bei der negativen Feststellungsklage hemmt weder deren Einreichung noch die Verteidigung gegen die Feststellung die Hemmung der Verjährung gemäß § 204 BGB hinsichtlich des Leistungsanspruchs (BGH, Urt. v. 15.08.2012 - XII ZR 86/11, m. Anm. Reinelt, jurisPR-BGHZivilR 21/2012 Anm. 1). Deshalb muss derjenige, der für seinen Anspruch die Verjährung unterbrechen will, innerhalb unverjährter Zeit, jedenfalls gegenüber der negativen Feststellungsklage, positive Leistungsklage erheben, wenn er die Verjährungshemmung erreichen will. Das gilt zwar nicht gleichermaßen bei der positiven Feststellungsklage. Bei dieser wird die Verjährung auch ohne Umstellung auf Leistung gehemmt (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB). Gleichwohl ist die Gleichbehandlung überzeugend, die der BGH hinsichtlich des Feststellungsinteresses der negativen und positiven Feststellungsklage bei späterer Erhebung der Leistungsklage vertritt. In beiden Fällen ist davon auszugehen, dass das weitergehende Rechtsschutzziel auf Erlangung eines vollstreckbaren Titels in der Regel dazu führen muss, der Leistungsklage Priorität einzuräumen. Damit werden die zuvor eingeleiteten Feststellungsklagen – ob negativ oder positiv – unzulässig, soweit die Leistungsklage den Klaganspruch vollständig abdeckt.

Etwas anderes gilt aus Gründen einer sinnvollen Prozessökonomie nur dann, wenn der Feststellungsantrag zu einem Zeitpunkt, zu dem die Leistungsklage nicht mehr einseitig zurückgenommen werden kann, entscheidungsreif ist. Dann soll die Entscheidungsreife der Feststellungsklage nicht durch das Verdikt der Unzulässigkeit obsolet gemacht werden.

In allen anderen Fällen wird man aber davon ausgehen müssen: Das unterschiedliche Rechtsschutzziel, das bei der späteren Leistungsklage weitergeht als bei der Feststellungsklage, begründet die Priorität der Leistungsklage. Das rechtliche Interesse an der Feststellungsklage, sei sie positiv oder negativ, entfällt mit der späteren Erhebung der Leistungsklage nachträglich mit der Folge, dass die Feststellungsklage mit Wirkung ex nunc unzulässig wird, sobald die auf Durchsetzung des Anspruchs gerichtete Leistungsklage erhoben ist. Anderes gilt nur bei Änderung der positiven Feststellungsklage in Leistungsklage im gleichen Verfahren (Fortsetzung des Verfahrens mit geänderter Klage).

Vor diesem Hintergrund wäre es eine sehr formalistische Betrachtungsweise, wenn man sich bei späterer Erhebung einer neuen Leistungsklage trotz des weitergehenden Rechtsschutzziels dieser Klage auf den Standpunkt stellen wollte, die positive Leistungsklage könne nur deshalb nicht weitergeführt werden, weil hinsichtlich der Folgen der nach wie vor anhängigen vorherigen (negativen oder positiven) Feststellungsklage noch keine Prozesserklärungen abgegeben worden sind. Der Sinn der Priorität der Leistungsklage liegt darin, dass diese eben ungeachtet der sich erledigenden Feststellungsklage fortgeführt werden kann.

D. Auswirkungen für die Praxis
Ist positive oder negative Feststellungsklage erhoben, besteht die Möglichkeit, sei es im Wege der Widerklage, sei es im gesonderten Verfahren, Leistungsklage zu erheben, sobald deren Voraussetzungen eingetreten und die Bezifferung des Anspruchs möglich ist. Der Anspruchsteller ist aber bei der positiven Feststellungsklage nicht gezwungen, statt der Feststellung Leistung zu verlangen. Man kann es auch bei der Feststellungsklage belassen. Wenn die Schadensentwicklung zur Zeit der Klageerhebung noch nicht abgeschlossen ist, muss nicht auf Leistungsklage umgestellt oder eine neue Leistungsklage erhoben werden (BGH, Urt. v. 05.02.1987 - III ZR 16/86 - BGHR ZPO § 256 Abs. 1 ZPO; BGH, Beschl. v. 26.05.1994 - III ZB 17/94 - NJW 1994, 2098).

Der Kläger einer positiven Feststellungsklage muss nicht abwarten, bis der Schaden eintritt, weil er dann die Verjährung riskiert. Er kann zuvor zur Vermeidung der Verjährung positive Feststellungsklage erheben.

Dahingestellt lässt die Rechtsprechung lediglich, ob für das Feststellungsinteresse die Möglichkeit eines Schadenseintritts ausreicht oder eine gewisse Wahrscheinlichkeit hierfür gegeben sein muss (für die erste Auffassung: BGH, Beschl. v. 09.01.2007 - VI ZR 133/06 - NJW-RR 2007, 601, für die zweite: BGH, Urt. v. 24.01.2006 - XI ZR 384/03 - BGHZ 166, 84, vgl. hierzu auch BGH, Urt. v. 25.02.2010 - VII ZR 187/08, m. Anm. Reinelt, jurisPR-BGHZivilR 7/2010 Anm. 2).

Missverständlich erscheint mir in diesem Zusammenhang die Kommentierung von Baumbach/Lauterbach (ZPO, 70. Aufl. 2012, § 256 Rn. 81): Danach ist die Leistungswiderklage dann zulässig, wenn es um eine verneinende Feststellungsklage vor der Erhebung der gegnerischen Leistungsklage geht. Das ist zwar richtig, erweckt aber den Eindruck, als beschränkte sich die Aussage auf die negative Feststellungsklage. Dagegen gilt die Aussage über die Zulässigkeit der Leistungsklage nach der Rechtsprechung des BGH auch bei der positiven Leistungsklage. Es ist aber zu beachten: Die Feststellung eines Anspruchs in seinem ganzen Umfang wird durch die Möglichkeit einer Leistungsklage bezüglich eines Teils des Anspruchs nicht ausgeschlossen (Becker-Eberhard in: MünchKomm ZPO, 4. Aufl., § 256 Rn. 57, m.w.N.). Der Kläger ist also nicht unbedingt gezwungen, auf Leistungsklage umzustellen, wenn er zuvor zulässige Feststellungsklage erhoben hat. Er kann auch die zulässige Feststellungsklage weiterverfolgen. Durch die bloße Möglichkeit einer Leistungsklage oder die Umstellung einer Feststellungsklage auf die Leistungsklage entfällt das Feststellungsinteresse einer zunächst zulässigen Feststellungsklage nicht (Becker-Eberhard in: MünchKomm ZPO, § 256 Rn. 55). Wird aber die Leistungsklage in vollem Umfang tatsächlich neu erhoben, tritt Unzulässigkeit der (negativen wie der positiven) Feststellungsklage ein.

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Der vorliegende Fall macht deutlich, wie sinnvoll die heftig umstrittene und dann am 27.10.2011 in Kraft getretene Einführung der Nichtzulassungsbeschwerde gegen einstimmige Zurückweisungsbeschlüsse nach § 522 Abs. 2 ZPO war. Der vorliegende Fall zeigt auf, was sicher immer wieder vorkommt: Drei Richter des Oberlandesgerichts haben die Berufung einstimmig als unbegründet beurteilt. Gleichwohl hat der BGH auf Nichtzulassungsbeschwerde die Revision zugelassen und gegenteilig entschieden. Nach der früheren Rechtslage vor Einführung des § 522 Abs. 3 ZPO (bis zum 26.10.2011) wäre der Widerspruch zur höchstrichterlichen Rechtsprechung, der bereits zu der früheren Entscheidung des BGH vom 21.12.1989 (IX ZR 234/88 - NJW-RR 1990, 1532) bestand, nicht aufgelöst worden. Die Einführung der Nichtzulassungsbeschwerde gegen einstimmige Zurückweisungsbeschlüsse gemäß § 522 Abs. 3 ZPO erweist sich daher gerade auch in diesem Fall als sinnvolle Maßnahme zur Rechtsvereinheitlichung.