jurisPR-BGHZivilR 20/2012 Anm. 1

Unternehmensbezogenes Rechtsgeschäft und Rechtsscheinhaftung

Anmerkung zu BGH 10. Zivilsenat, Urteil vom 31.07.2012 - X ZR 154/11
von Prof. Dr. Ekkehart Reinelt, RA BGH

Leitsatz
Bei einem unternehmensbezogenen Rechtsgeschäft kann ein Dritter aufgrund des von ihm erzeugten Rechtsscheins, er sei Mitinhaber des Unternehmens, für die Erfüllung des darauf beruhenden Vertrags haften.

A. Problemstellung
Schließen die Grundsätze der unternehmensbezogenen Haftung eine daneben bestehende Rechtsscheinhaftung aus? Oder kann jemand auf Grund eines von ihm gesetzten Rechtsscheins auch bei unternehmensbezogenen Rechtsgeschäften neben dem Inhaber haften?

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger hat ein Angebot bei dem auf Wohnmobilreisen spezialisierten Reiseveranstalter „Camper Adventures“ zur Miete eines Wohnmobils für einen Urlaub in Argentinien und eine Schiffsreise gemacht. Dabei sollte das Wohnmobil im Wege der sogenannten „Einwegmiete“ von einem Ort zum anderen gebracht werden können mit der Absprache, dass die Einwegmiete entfallen sollte, wenn das Wohnmobil am Rückgabeort direkt weitervermietet werden konnte. Inhaberin der Firma „Camper Adventures“ war die Beklagte zu 1), während der Beklagte zu 2) nur angestellt war.

Auf seine Bestellung, bei der als Reisende der Kläger und seine Ehefrau angegeben waren, erhielt der Kläger eine als Rechnung/Bestätigung bezeichnete Unterlage. Darin wurde die Bestellung bestätigt und dem Kläger gleichzeitig noch eine Zusatzhaftpflichtversicherung angeboten. Die Rechnung/Bestätigung trug in der Unterschriftszeile den Namenszug beider Beklagter. Es heißt in dieser Rechnung/Bestätigung: „Wunschgemäß haben wir (es folgen die beiden Namen) … Wir sind Mitglied bei fair Chile“… „Wir bitten die Zahlungen unter Angabe Ihres Namens zu überweisen.“

Der Unterlage ist nicht zu entnehmen, wer Inhaber des Reisebüros „Camper Adventures“ ist. Aus dem Briefkopf der Firma ergibt sich nur ein Hinweis auf die postalische Adresse, nicht auf die Inhaberschaft. Zusätze oder Kennzeichnungen, die darauf schließen lassen, dass der Beklagte zu 2) lediglich Angestellter im Betrieb der Beklagten zu 1) ist, fehlen. Gegenstand der Leistungen von „Camping Adventures“ war – neben der gebuchten Schiffsreise – die Zurverfügungstellung eines Wohnmobils, das an einer anderen Übergabestation hätte zurückgegeben werden können, und die Überlassung eines sog. Camping-Kit, bestehend aus einem Camping-Tisch und Camping-Stühlen.

Der Kläger zahlte den Reisepreis einschließlich der Einwegmiete. Als er das Wohnmobil in Argentinien übernahm, musste er feststellen, dass die Heizung defekt war. Wegen der notwendigen Reparaturarbeiten musste er zur Übergabestation zurückkehren und konnte das Wohnmobil für einen Tag nicht nutzen. Auch das Camping-Kit, bestehend aus Camping-Tisch und Camping-Stühlen mit Armlehnen, war defekt. Das Wohnmobil konnte unmittelbar nach Rückgabe weitervermietet werden.

Der Kläger hat beide Beklagte als Gesamtschuldner auf Rückzahlung der – nach der vertraglichen Vereinbarung bei sofortiger Weitervermietung des Wohnmobils zu erstattenden – Einwegmiete und des auf den Camping-Kit entfallenden Preises, sowie auf Nutzungsausfall für ein Tag wegen des Heizungsdefekts des Wohnmobils verklagt.

Während des Verfahrens wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Beklagten zu 1) eröffnet. Das führte zu einer Unterbrechung des Rechtsstreits gegen die Beklagte zu 1) nach § 240 ZPO.

Das Amtsgericht hat den Beklagten zu 2) zur Zahlung verurteilt. Die Berufung des Beklagten zu 2), der geltend gemacht hatte, für eine Rechtsscheinhaftung reiche es nicht aus, wenn im Text der Rechnung/Bestätigung von „wir“ die Rede sei und er mit unterschrieben habe, wies das Berufungsgericht zurück.

Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen zur Klärung der Frage, ob auch bei einem objektiv unternehmensbezogenen Geschäft die Grundsätze der Rechtsscheinhaftung greifen oder nicht. Dies sei in der höchstrichterlichen Rechtsprechung letztlich ungeklärt.

Der BGH weist die zugelassene Revision zurück. Die zentrale Frage, wegen derer die Revision – allerdings unbeschränkt – zugelassen worden ist, stellt sich wie folgt: Kann die Rechtsscheinhaftung Geltung beanspruchen neben der Haftung des Unternehmers bei unternehmensbezogenem Handeln?

Nach Auffassung des BGH hat das Berufungsgericht das mit Recht bejaht. Das OLG Düsseldorf hatte allerdings – vom Berufungsgericht zitiert – in Beschlüssen vom 26.04.2011 (I-10 U 59/11) sowie vom 16.06.2011 (I-10 U 58/11) die Auffassung vertreten, dass für eine Rechtsscheinhaftung neben der Haftung des Unternehmers bei einem objektiv unternehmensbezogenen Geschäft kein Raum sei. Der BGH sieht das anders.

Zwar geht der Wille der Beteiligten bei unternehmensbezogenen Geschäften im Zweifel dahin, dass der Inhaber des Unternehmens und nicht der für das Unternehmen Handelnde Vertragspartner werden soll (BGH, Urt. v. 03.02.1975 - II ZR 128/73 - BGHZ 64, 11, 14; BGH, Urt. v. 18.05.1998 - II ZR 355/95 - NJW 1998, 2897; BGH, Urt. v. 18.12.2007 - X ZR 137/04 - NJW 2008, 1214, m. Anm. Witt). Nach der hierzu etablierten Rechtsprechung gilt: Die Tatsache, dass ein Geschäft unternehmensbezogen ist, spricht im Zweifel dafür, dass das Geschäft mit dem Inhaber des jeweiligen Unternehmens abgeschlossen wird. Insoweit ergibt sich die Fremdbezogenheit des Geschäftes – also die Haftung des Unternehmers – aus den Umständen des Vertragsschlusses (§ 164 Abs. 1 Satz 2 BGB).

Diese Rechtsprechung, die zu einer Haftung des tatsächlichen Unternehmers führt, bezweckt grundsätzlich, jemanden freizustellen, der als Stellvertreter handeln wollte, wenn er seine Vertreterstellung nicht ausdrücklich hervorgehoben hat, und der Unternehmensbezug des Rechtsgeschäft hinreichend deutlich zu erkennen ist. Die Haftung für unternehmensbezogenes Handeln ist insoweit eine Ausnahme vom Offenkundigkeitsprinzip des § 164 Abs. 2 BGB.

Allerdings steht diesem Grundsatz die Rechtsscheinhaftung aus Rechtsscheingründen nach Auffassung des Senats nicht entgegen. Wer selber einen Rechtsschein für die Stellung als Vertragspartner gesetzt hat oder derjenige, für den ein solcher ihm zuzurechnender Rechtsschein gesetzt wurde, kann sich nicht zur Haftungsbefreiung auf die Grundsätze der unternehmensbezogenen Haftung des Unternehmers berufen. Die Rechtsscheinhaftung bleibt daneben bestehen.

Der Senat zieht eine Parallele zur Haftung der Scheinsozietät: Der als Sozius auftretende Scheinsozius haftet für die Verpflichtung der Sozietät ebenso wie die wahren Inhaber der Sozietät (BGH, Urt. v. 11.03.1955 - I ZR 82/53 - BGHZ 17, 13, 15; BGH, Urt. v. 29.01.2001 - II ZR 331/00 - BGHZ 146, 341, 359; BGH, Urt. v. 16.04.2008 - VIII ZR 230/07 - NJW 2008, 2330). Auch im vorliegenden Fall sei ein solcher Rechtsschein gesetzt worden.

Das Revisionsgericht billigt die dem Tatrichter grundsätzlich vorbehaltene Auslegung der Willenserklärung, die in der Rechnung/Bestätigung vom 25.07.2009 enthalten war. Die uneingeschränkte Verwendung des Begriffes „wir“, die Unterzeichnung durch beide Beklagte und der Umstand, dass weder die Unterlage noch sonstige Schreiben des Unternehmens die ausschließliche Inhaberschaft der Beklagten zu 1) in zutreffender Weise zum Ausdruck bringen, stützt die Auslegung, die das Berufungsgericht gefunden hat. Der Beklagte zu 2) müsse sich daher so behandeln lassen, als sei er mit der Beklagten zu 1) Gesellschafter einer Gesellschaft, mit der der Reisevertrag geschlossen wurde.

Allerdings weist der Senat auf einen wichtigen Gesichtspunkt hin. Ist der erzeugte Rechtsschein lediglich in einer Rechnung oder Bestätigung enthalten, die ein vorhandenes Angebot annimmt, dann kann der Rechtsschein nicht zum Zeitpunkt der Abgabe des Angebots gesetzt worden sein. Ein zurechenbarer Rechtsschein muss nach dem Grundsatz, wonach ein Späteres nicht ein Früheres beeinflussen kann, bereits mit dem Angebot zum Abschluss des Vertrages erzeugt werden. Mit diesem Gesichtspunkt hatte sich das Berufungsurteil nicht auseinandergesetzt.

Der Senat hat jedoch aus folgenden Gründen nach § 563 Abs. 3 ZPO in der Sache selber entschieden:

Nach der Feststellung des Berufungsgerichts wurde in der Rechnung/Bestätigung gleichzeitig eine Zusatzhaftpflichtversicherung empfohlen, die vorher nicht Gegenstand des Angebots war. Die ursprüngliche Erklärung des Klägers vor dem Schreiben habe damit den Vertragsinhalt nicht vollständig definiert. Wesentliche Elemente wie die Zusatzhaftpflichtversicherung sind erst durch die Bestätigung hinzugekommen. Der Kläger habe dieses veränderte Angebot (§ 150 Abs. 2 BGB) konkludent erst mit der Zahlung des Reisepreises angenommen. Insoweit sei der Rechtsschein bereits mit dem veränderten Angebot („Rechnung/Bestätigung mit Angebot auf Zusatzhaftpflichtversicherung“) und damit zu einem Zeitpunkt gesetzt worden, der vor der Annahmeerklärung des Klägers lag.

C. Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung des X. Zivilsenats steht im Einklang mit der Rechtsprechung des II. Zivilsenats. Dieser betont ausdrücklich, dass es bei der Rechtsscheinhaftung nicht um eine subsidiäre Ausfallhaftung für den wirklichen Unternehmensträger geht, diese Haftung also nicht die vorherige Feststellung von dessen Zahlungsunfähigkeit voraussetzt (BGH, Urt. v. 15.01.1990 - II ZR 311/88). Vielmehr stützt sich die Rechtsscheinhaftung auf das Vertrauen auf zurechenbaren Rechtsschein. Sie gilt neben der unternehmensbezogenen Haftung.

Der II. Zivilsenat (Urt. v. 12.06.2012 - II ZR 256/11 - NJW 2012, 2871) hatte die Problematik der Rechtsscheinhaftung eines Handelnden neben der Haftung einer fehlerhaft bezeichneten Unternehmensgesellschaft konstatiert. Der Gesellschafter, Geschäftsführer einer Unternehmensgesellschaft mit einem Stammkapital von 100 Euro, hatte für seine Gesellschaft bei Abschluss eines Werkvertrages mit dem Rechtsformzusatz „GmbH u.G.“ gehandelt. Tatsächlich hätte die Gesellschaft nach § 5a Abs. 1 GmbHG den zwingend vorgeschriebenen Zusatz „Unternehmergesellschaft haftungsbeschränkt“ führen müssen. Diese Unternehmensgesellschaft war tatsächlich nur mit einem Stammkapital von 100 Euro ausgewiesen. Durch die irreführende Bezeichnung entstand im Verkehr der Eindruck, man habe es mit einer gewöhnlich ausgestatteten GmbH zu tun.

In diesem Fall hat der II. Zivilsenat neben der Haftung des Unternehmers eine Rechtsscheinhaftung analog § 179 BGB für den handelnden Gesellschafter/Geschäftsführer bejaht und sich dabei der herrschenden Meinung angeschlossen (kritisch hierzu Altmeppen, NJW 2012, 2833).

Ähnlich hat sich der III. Zivilsenat des BGH in einer neueren Entscheidung zur Rechtsscheinhaftung geäußert: Eine solche Rechtsscheinhaftung kann in Betracht kommen, wenn der Anschein entsteht, dass zwei voneinander unabhängige Rechtsobjekte eine Einheit bilden. Mithin muss ein Unternehmer einen zurechenbar erzeugten Rechtsschein, mit einem anderen Unternehmen identisch zu sein, gegen sich gelten lassen (BGH, Urt. v. 05.07.2012 - III ZR 116/11 Rn. 22 ff.).

Ergebnis: Neben der unternehmensbezogenen Haftung kommt Rechtsscheinhaftung des Handelnden in Betracht.

D. Auswirkungen für die Praxis
Die Praxis muss sich darauf einstellen, dass die Grundsätze der unternehmensbezogenen Haftung diejenigen aus Rechtsscheinhaftung nicht ausschließen. Die Rechtsscheinhaftung wegen Fortlassung des nach § 5a GmbHG vorgeschriebenen Formzusatzes (oder die Haftung bei irreführender Bezeichnung des Unternehmens) trifft ausschließlich den für die Gesellschaft auftretenden Vertreter (BGH, Urt. v. 08.07.1996 - II ZR 258/95 - NJW 1996, 2645 Rn. 14 ff.; BGH, Urt. v. 05.02.2007 - II ZR 84/05 - NJW 2007, 1529; vgl. auch Goette, DStR 1996, 1373, zur Rechtsscheinhaftung bei Handeln für eine Gesellschaft unter Weglassung des Rechtsformzusatzes). Goette führt in seiner zitierten Anmerkung aus: Es sei wenig verständlich, dass der Kläger darauf verzichtet hat, den Handelnden selbst oder nach den Regeln des unternehmensbezogenen Vertreterhandelns die von ihm vertretene GmbH in Anspruch zu nehmen.

Der anwaltliche Berater ist also gehalten, sowohl die Grundsätze des unternehmensbezogenen Handelns (Haftung des Unternehmers direkt) als auch diejenigen des Rechtsscheins (Haftung des Handelnden) zu beachten.

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Umstritten war in dem vom BGH zu entscheidenden Fall, ob der Kläger alleiniger Gläubiger der zu erfüllenden vertraglichen Ansprüche war, nachdem auf Seiten der Reisenden auch seine Ehefrau erwähnt wurde.

Dazu führt der BGH aus: Bei Reisebuchungen (z.B. solchen mit Hotelunterkünften und Flugreisen) kann ein Interesse der buchenden Person erkennbar werden, die vertragliche Erklärung nicht nur im eigenen Namen, sondern auch im Namen eines weiteren Reiseteilnehmers, hier der Ehefrau, abzugeben. Allerdings habe die bloße Angabe des Namens der Ehefrau im vorliegenden Fall nicht zu einer gemeinsamen Aktivlegitimation der Eheleute geführt. Es ging in der Hauptsache um die Miete eines Wohnmobils, das nicht nur als Unterkunft, sondern vor allem als ein vom Reisenden zu steuerndes Kraftfahrzeug dienen sollte. Bei Fahrzeugmieten – so der BGH – besteht regelmäßig kein Interesse der Vertragsparteien, Mitfahrer als Vertragspartner in den Vertrag einzubeziehen. Die bloße Nennung des Namens der mitreisenden Ehefrau schließe daher die Vermutung des § 164 Abs. 2 BGB, dass der handelnde Ehemann im eigenen Namen abschließen wolle, nicht aus.

Ein weiteres Problem: Offensichtlich war zwischen den Streitteilen umstritten, ob es im vorliegenden Fall um einen Mietvertrag oder einen Reisevertrag ging. Dazu verweist der BGH auf den Zusammenhang zwischen der Wohnwagenmiete einerseits und der gleichzeitig gebuchten Schiffsreise andererseits. Werden mehrere Reiseleistungen in Anspruch genommen, folgt die Anwendung des Reisevertragsrechts aus § 651a BGB. Für die verschiedenen Ansprüche ist zu unterscheiden zwischen dem Anspruch auf Rückerstattung der Einwegmiete und den Ansprüchen auf Minderung des Reisepreises wegen der aufgetretenen Mängel. Die Anspruchsgrundlage für die Mängel ergibt sich aus den §§ 651c Abs. 1, 651 BGB. Dagegen beruht der Anspruch auf Rückzahlung der Rechnungsposition für die Einwegmiete des Wohnmobils auf einer gesonderten vertraglichen Absprache.

Die Anspruchsgrundlage für die geltend gemachten Ansprüche befindet sich – so der BGH – in den §§ 651c Abs. 1, 651 BGB. Der Anspruch auf Rückzahlung der Rechnungsposition für die Einwegmiete des Wohnmobils beruht auf der gesonderten vertraglichen Absprache. Nachdem das Wohnmobil nach Rückgabe unmittelbar weitervermietet werden konnte, sollte nach der vertraglichen Vereinbarung der Anspruch auf die Einwegmiete entfallen. So war die Regelung im vorliegenden Fall gestaltet. Es ging insoweit um einen vertraglichen Anspruch, der einem Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung vorgeht (BGH, Urt. v. 17.06.1992 - XII ZR 253/90 - NJW 1992, 2690, unter 2).