jurisPR-BGHZivilR 1/2017 Anm. 4

Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde in Verfahren betreffend die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen

BGH 1. Zivilsenat, Beschluss vom 07.07.2016 - I ZB 90/15
Dr. Barbara Genius, Rechtsanwältin beim Bundesgerichtshof

Leitsatz
Die Anordnung und die Ablehnung vorläufiger Maßnahmen durch den Vorsitzenden des Zivilsenats gemäß § 1063 Abs. 3 Satz 1 ZPO sind unanfechtbar.

A. Problemstellung
Die Zwangsvollstreckung aus einem Schiedsspruch findet nur statt, wenn der Schiedsspruch in einem gerichtlichen Verfahren für vollstreckbar erklärt worden ist. Um vorhandenes Vermögen des Schuldners während der Dauer des Vollstreckbarerklärungsverfahrens zu sichern, kann das Gericht gemäß § 1063 Abs. 3 ZPO vorläufige Sicherungsmaßnahmen anordnen. Die Besprechungsentscheidung klärt, ob die Entscheidung über einen dahingehenden Antrag mit der Rechtsbeschwerde anfechtbar ist.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Nach Beendigung der Zusammenarbeit zwischen den Parteien erging ein (ausländischer) Schiedsspruch, mit dem die Antragsgegnerin zur Zahlung rückständiger Lizenzgebühren und Schadensersatz insgesamt in Höhe von über 115 Mio. Euro verurteilt wurde. Die Antragstellerin beantragte beim Oberlandesgericht, den Schiedsspruch für vollstreckbar zu erklären. Weiter beantragte sie, ihr die vorläufige Vollstreckung und die Sicherungsvollstreckung aus dem Schiedsspruch zu gestatten. Dieser Antrag gemäß § 1063 Abs. 3 ZPO wurde vom Vorsitzenden des Zivilsenats des Oberlandesgerichts als unbegründet zurückgewiesen.
Die gegen den Beschluss gerichtete Rechtsbeschwerde hat der BGH als unzulässig verworfen mit der Begründung, Beschlüsse über Anordnungen gemäß § 1063 Abs. 3 Satz 1 ZPO seien unanfechtbar.

C. Kontext der Entscheidung
Mit der Rechtsbeschwerde – und nur mit ihr – können im Berufungs- oder Beschwerdeverfahren erlassene Beschlüsse, ferner erstinstanzliche Beschlüsse der Oberlandesgerichte angefochten werden. Gemäß § 574 Abs. 1 ZPO ist allerdings die Rechtsbeschwerde zum BGH nur statthaft, wenn dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder die Rechtsbeschwerde in dem anzufechtenden Beschluss zugelassen wurde. Eine Nichtzulassungsbeschwerde gibt es nicht.

Gemäß § 1065 Abs. 1 ZPO, also kraft ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung, findet die Rechtsbeschwerde gegen (erstinstanzliche) Beschlüsse der Oberlandesgerichte in Verfahren betreffend die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen statt, jedoch nicht in allen Fällen: Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 1065 Abs. 1 Satz 1 ZPO nur statthaft gegen die Entscheidungen der Oberlandesgerichte über Anträge betreffend die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit des schiedsrichterlichen Verfahrens (§ 1062 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) und betreffend die Aufhebung und Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs (§ 1062 Abs. 1 Nr. 4 ZPO). Gemäß § 1065 Abs. 1 Satz 2 ZPO sind „im Übrigen“ „die Entscheidungen in den in § 1062 Abs. 1 bezeichneten Verfahren unanfechtbar“. Unanfechtbar sind damit die Entscheidungen über die Bestellung oder Ablehnung eines Schiedsrichters oder die Beendigung des Schiedsrichteramtes (§ 1062 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) sowie Entscheidungen über die Vollziehbarerklärung vorläufiger oder sichernder Maßnahmen des Schiedsgerichts (§ 1062 Abs. 1 Nr. 3 ZPO).

Nicht erwähnt werden in § 1065 Abs. 1 Satz 1 ZPO außerdem Beschlüsse gemäß § 1063 Abs. 3 ZPO, wonach der Vorsitzende des Zivilsenats des Oberlandesgerichts ohne vorherige Anhörung des Gegners anordnen kann, dass der Antragsteller bis zur Entscheidung über den Antrag im gerichtlichen Verfahren die Zwangsvollstreckung aus dem Schiedsspruch betreiben oder die vorläufigen oder sichernden Maßnahmen des Schiedsgerichts nach § 1041 ZPO vollziehen darf (Satz 1).

Nach einer Mindermeinung sollte gleichwohl die Rechtsbeschwerde gegen solche Beschlüsse jedenfalls in Verfahren zur Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs (§ 1062 Abs. 1 Nr. 4 ZPO) statthaft sein. Dieser Ansicht erteilt der BGH – mit der weit überwiegend im Schrifttum vertretenen Auffassung – eine Absage.

Er zitiert den Wortlaut des § 1065 Abs. 1 Satz 1 ZPO, der die vorläufigen Anordnungen des Vorsitzenden des Zivilsenats nach § 1063 Abs. 3 ZPO nicht nennt, und stellt klar, dass sie auch dann nicht zu den der Rechtsbeschwerde unterliegenden Entscheidungen gehören, wenn sie in einem Verfahren auf Aufhebung oder Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs (§ 1062 Abs. 1 Nr. 4 ZPO) ergehen. Andernfalls ergäbe sich – unter Berücksichtigung der in § 1065 Abs. 1 Satz 2 ZPO angeordneten Unanfechtbarkeit der „übrigen“ Entscheidungen – eine unterschiedliche Behandlung der vorläufigen Anordnungen gemäß § 1063 Abs. 3 ZPO in Abhängigkeit davon, in welchem der Verfahren gemäß § 1062 Abs. 1 ZPO sie ergingen: So wären insbesondere die vorläufigen Anordnungen des Vorsitzenden in Verfahren über vorläufige oder sichernde Maßnahmen des Schiedsgerichts (§ 1062 Abs. 1 Nr. 3 ZPO) unanfechtbar, ohne dass für den Kontrollverzicht überzeugende Gründe erkennbar wären.

Der I. Zivilsenat stützt sich auch auf die Funktion des § 1063 Abs. 3 ZPO als Mittel des vorläufigen Rechtsschutzes und stellt fest, die Befugnis trete für das Schiedsgerichtsverfahren an die Stelle der §§ 916 ff. ZPO über Arrest und einstweilige Verfügung, hinsichtlich derer wegen des provisorischen Charakters und der vorläufigen Bedeutung Revision und Rechtsbeschwerde ausgeschlossen sind: Gemäß § 542 Abs. 2 ZPO sind der Revision nicht zugänglich Urteile, durch die über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung eines Arrestes oder einer einstweiligen Verfügung entschieden wird, was selbst dann gilt, wenn die Revision irrtümlich zugelassen wurde (BGH, Beschl. v. 27.02.2003 - I ZB 22/02 - BGHZ 154, 102). Dasselbe gilt gemäß § 574 Abs. 1 Satz 2 ZPO für Beschlüsse entsprechenden Inhalts, gegen die eine Rechtsbeschwerde nicht statthaft ist. Auch die Verwerfung einer Berufung als unzulässig im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist weder mit der Revision noch mit der Rechtsbeschwerde anfechtbar (BGH, Beschl. v. 10.10.2002 - VII ZB 11/02 - BGHZ 152, 195; BGH vom 15.01.2009 - V ZB 130/08 - WuM 2009, 145). Es wäre nicht einleuchtend, gegen die vorläufigen Anordnungen in Verfahren betreffend die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen einen Zugang zum BGH zu eröffnen, der für Entscheidungen nach den §§ 916 ff. ZPO verschlossen ist (Rn. 13). Die jederzeit abänderbare und in keiner Weise für das Verfahren vorgreifliche Anordnung ist auch nicht vergleichbar einer ggf. wegen abschließender Wirkung anfechtbaren Zwischenentscheidung (Rn. 16). Das Grundrecht auf rechtliches Gehör des erfolglosen Antragstellers sieht der Senat durch die Unanfechtbarkeit nicht tangiert (Rn. 18).

D. Auswirkungen für die Praxis
Der BGH ordnet § 1063 Abs. 3 ZPO in das Rechtsschutzsystem ein und schärft so in Klärung einer Streitfrage diese weit gefasste und wenig konturierte Bestimmung: Als Mittel des vorläufigen Rechtsschutzes sind gemäß § 1065 Abs. 1 Satz 2 ZPO Anordnungen nach § 1063 Abs. 3 ZPO unanfechtbar, wobei es keinen Unterschied macht, ob sich der Antragsteller gegen die Ablehnung oder ein Antragsgegner gegen die Anordnung einer vorläufigen Maßnahme gemäß § 1063 Abs. 3 Satz 1 ZPO wendet (Rn. 7). Noch offen steht den Parteien danach lediglich die Gegenvorstellung, was insbesondere die dem Schuldner verbleibende Möglichkeit ist, im Falle einer Anordnung ohne vorherige Anhörung seinen Anspruch auf rechtliches Gehör zu verwirklichen. In der Praxis zu beachten ist auch, dass der Vorsitzende seine Entscheidung jederzeit aufheben oder abändern kann.