jurisPR-BGHZivilR 14/2016 Anm. 1 Sittenwidrigkeit der Sicherungsübereignung eines Warenlagers BGH 11. Zivilsenat, Urteil vom 12.04.2016 - XI ZR 305/14 Leitsätze A. Problemstellung B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Die Klägerin verlangt von der Beklagten im Wege der Stufenklage Auskunft über die von dieser in Besitz genommenen Waren und nachfolgend deren Herausgabe. Daneben begehrt sie die Feststellung, dass die Beklagte ihr zum Ersatz der Schäden aus der Inbesitznahme der Waren verpflichtet sei. Anders als das die Klage abweisende Landgericht war das Berufungsgericht der Auffassung, die Klägerin habe aufgrund Kaufvertrags das Eigentum an den streitgegenständlichen Waren erworben. Die Insolvenzschuldnerin habe ihr Eigentum nicht zuvor wirksam auf die Beklagte übertragen, denn die Raumsicherungsübereignungsverträge seien gemäß § 138 BGB wegen Gläubigergefährdung nichtig. Der Klägerin stehe deshalb der Auskunftsanspruch zu (Klageantrag zu 1), auch die Feststellungsklage betreffend den Schadensersatzanspruch sei begründet (Klageantrag zu 3); der im Weg der Stufenklage nach § 254 ZPO geltend gemachte Herausgabeanspruch (Klageantrag zu 2) sei analog § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO an das Landgericht zurückzuverweisen. Die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Beklagten hatte Erfolg. Der XI. Zivilsenat hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Er kritisiert, das Berufungsgericht habe bei seiner Entscheidung – einerseits Feststellung gemäß dem Klageantrag zu 3), andererseits Zurückverweisung der Sache an das Landgericht hinsichtlich des Klageantrags zu 2) – die Grundsätze des § 301 ZPO verkannt. Weiter halte die Annahme einer Sittenwidrigkeit der Sicherungsübereignungsverträge als Voraussetzung für den auf Eigentum gestützten Auskunftsanspruch der Klägerin revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. C. Kontext der Entscheidung In der Rechtsanwendung kommt den genannten Fallgruppen allerdings nur die Bedeutung eines Anhaltspunktes zu. Entscheidend ist die Gesamtwürdigung des einzelnen Vertrages unter Berücksichtigung aller ihn kennzeichnenden objektiven und subjektiven Umstände. Der BGH kritisiert, dass sich das Berufungsgericht für das Verdikt eines Sittenverstoßes – gestützt auf eine Entscheidung aus dem Jahre 1953 (BGH, Urt. v. 09.07.1953 - IV ZR 242/52 - BGHZ 10, 228) – mit der Feststellung subjektiver Voraussetzungen begnügt hat, dass nämlich die Beklagte subjektiv von einer – nicht näher definierten – „Sanierungsbedürftigkeit“ der Insolvenzschuldnerin ausgegangen sei. Er stellt klar, dass die tatsächliche wirtschaftliche Lage des Sicherungsgebers nach der Rechtsprechung des BGH – auch im Urteil aus dem Jahre 1953 – ein wesentlicher Aspekt im Rahmen der notwendigen Gesamtwürdigung ist (Rn. 53, m.w.N.). Danach ist die Insolvenzreife des Darlehensnehmers und Sicherungsgebers notwendige und vorrangig zu prüfende Voraussetzung. Zwar lässt der Senat offen, ob Insolvenzreife das Vorliegen eines Insolvenzeröffnungsgrundes nach den §§ 17, 19 InsO erfordert oder ob eine drohende Zahlungsunfähigkeit oder auch schon eine noch früher einsetzende „Sanierungsbedürftigkeit“ des Sicherungsgebers genügt. Jedenfalls reicht es nicht aus, dass der Sicherungsnehmer (subjektiv) den Sicherungsgeber über einen längeren Zeitraum hinweg als „Sanierungsfall“ angesehen hat, ohne (objektiv) dessen tatsächliche wirtschaftliche Entwicklung während dieser Zeit, insbesondere Anzeichen für eine Besserung der Lage, zu berücksichtigen (Rn. 52). Die Entscheidung bekräftigt damit den Grundsatz, dass das Unwerturteil eines Sittenverstoßes mit der Folge der Nichtigkeit des Vertrages stets eine umfassenden Gesamtwürdigung des einzelnen Vertrages voraussetzt, wobei einerseits alle wesentlichen äußeren Umstände, namentlich die objektiven Verhältnisse, unter denen der Vertrag zustande gekommen ist, und seine Auswirkungen, andererseits die innere Einstellung der Parteien, namentlich die subjektiven Merkmale wie der verfolgte Zweck und der zugrunde Beweggrund, zu berücksichtigen sind (Rn. 42, m.w.N.). Einer Ausweitung der Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB im Fall fehlgeschlagener Sanierungsversuche erteilt der Senat eine Absage auch unter Hinweis darauf, dass sie die differenzierte Regelung (Fristen) der Gläubigeranfechtung nach dem Anfechtungsgesetz und der Insolvenzanfechtung in den §§ 129 ff. InsO überspielte, obwohl grundsätzlich eine Anfechtung wegen vorsätzlicher Benachteiligung in Betracht kommt, wenn eine Sicherungsübereignung nicht Bestandteil eines ernsthaften Sanierungsversuchs ist. Der Senat argumentiert, dass die Nichtigkeit einer Sicherungsübereignung gemäß § 138 Abs. 1 BGB weder die gleichmäßige Befriedigung der Insolvenzgläubiger gewährleistet noch zwingend zugunsten der Gläubiger wirkt, die tatsächlich über die Kreditwürdigkeit des Sicherungsgebers und späteren Insolvenzschuldners getäuscht worden sind. Sie kann – wie der vorliegende Fall zeige – unter Umständen auch einem einzelnen Gläubiger zugutekommen, dessen Vertrag mit dem Insolvenzschuldner Besonderheiten aufweist, die auf einen Vertragsschluss in Kenntnis erheblicher wirtschaftlicher Schwierigkeiten des Insolvenzschuldners hindeuten (Rn. 54). D. Auswirkungen für die Praxis E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung Im Fall hatte das Berufungsgericht verkannt, dass im Rahmen der Prüfung des zurückverwiesenen Herausgabeanspruchs (Klageantrag zu 2) erneut über das Eigentum der Klägerin an den Waren zu befinden war. Die Gefahr bestand, dass diese – mit der Stattgabe der Klageanträge zu 1) und 3) noch nicht bindend entschiedene – Vorfrage in einem späteren Urteil über den Klageantrag zu 2) anders beurteilt würde. |