jurisPR-BGHZivilR 11/2016 Anm. 4

Staatenimmunität und Eröffnung der deutschen Gerichtsbarkeit

BGH 7. Zivilsenat, Urteil vom 24.03.2016 - VII ZR 150/15
Dr. Barbara Genius, Rechtsanwältin beim Bundesgerichtshof

Leitsatz
Ein ausländischer Staat unterliegt der deutschen Gerichtsbarkeit, sofern der Rechtsstreit staatliches Handeln nicht hoheitlicher Natur betrifft. Dies erfordert die Feststellung, dass ein dem Staat zurechenbares Handeln vorliegt.

A. Problemstellung
Die Entscheidung befasst sich mit der Frage, wann ein ausländischer Staat vor deutschen Gerichten – hier auf Zahlung für Planungsleistungen – verklagt werden kann.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin, eine GmbH mit Sitz in Deutschland, begehrt von dem Königreich Saudi-Arabien Honorar in zweistelliger Millionenhöhe für Planungsleistungen in Bezug auf die Errichtung einer neuen Stadt auf dessen Staatsgebiet. Sie erhob Klage vor dem Landgericht, in dessen Bezirk das beklagte Königreich Eigentümer zweier benachbarter Grundstücke ist, und zwar gestützt auf einen im Jahr 2006 mit einer Regierungsstelle als eigenständige juristische Person geschlossenen Vertrag, hilfsweise auf ein vorvertragliches Schuldverhältnis (§§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB) und auf ungerechtfertigte Bereicherung.

Der Beklagte berief sich gegenüber der Klage auf Staatenimmunität und rügte die fehlende internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts.

Das Landgericht bejahte in einem Zwischenurteil die Zulässigkeit der Klage. Die dagegen gerichtete Berufung des Beklagten hatte keinen Erfolg.

Auf die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des Beklagten hat der BGH das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.

Die Besprechungsentscheidung befasst sich mit den Voraussetzungen, unter denen nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts ein ausländischer Staat vor einem deutschen Zivilgericht verklagt werden kann. Weiter kritisiert der BGH die Begründung, mit der die Vorinstanzen den besonderen Gerichtsstand des Vermögens bei Klagen gegen einen ausländischen Staat gemäß § 23 ZPO bejaht hatten.

C. Kontext der Entscheidung
Es gehört zu den grundlegenden Prinzipien des Völkerrechts, dass Staaten von der Gerichtsbarkeit anderer Staaten befreit sind. Der Grundsatz der Staatenimmunität beruht auf dem Rechtssatz „par in parem non habet imperium“ (Gleiches hat über Gleiches keine Herrschaft). Eine unter Verletzung der Staatenimmunität ergangene gerichtliche Entscheidung ist unwirksam und wird nicht anerkannt. Ob die deutsche Gerichtsbarkeit eröffnet ist, ist deshalb vorrangig und in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen (st. Rspr., BGH, Urt. v. 09.07.2009 - III ZR 46/08 - BGHZ 182, 10 Rn. 17 ff.).

Allerdings gilt der Grundsatz der Staatenimmunität nicht mehr absolut. Im Erkenntnisverfahren sind Staaten der Gerichtsbarkeit anderer Staaten nur entzogen, soweit sie hoheitlich tätig werden (acta iure imperii), nicht jedoch, wenn sie sich wie Private am Wirtschaftsleben beteiligen (acta iure gestionis) (zul. BVerfG, Beschl. v. 17.03.2014 - 2 BvR 736/13 - NJW 2014, 1723 Rn. 19, m.w.N.; BGH, Beschl. v. 30.01.2013 - III ZB 40/12 - NJW 2013, 3184 Rn. 11). Ob ein hoheitlicher Akt oder eine nicht-hoheitliche, privatwirtschaftliche Tätigkeit vorliegt, ist nach der Rechtsordnung des Gerichtsstaates abzugrenzen (st. Rspr., BVerfG, Beschl. v. 17.03.2014 - 2 BvR 736/13 Rn. 21, m.w.N.; BGH, Beschl. v. 01.10.2009 - VII ZB 37/08 - NJW 2010, 769 Rn. 24) und beurteilt sich nicht nach Motiv oder Zweck, sondern nach Art bzw. Natur der zu beurteilenden staatlichen Handlung oder des streitigen Rechtsverhältnisses (st.Rspr., BGH, Beschl. v. 30.01.2013 - III ZB 40/12 - NJW 2013, 3184 Rn. 11, m.w.N.). Der VII. Zivilsenat präzisiert, dabei komme es – weil es die Grenzziehung nach der Rechtsnatur nicht beeinflusse – nicht darauf an, ob ein privatrechtlicher Vertrag vorliegt. Streitigkeiten im Zusammenhang mit privatwirtschaftlicher Staatstätigkeit sollen insgesamt der Gerichtsbarkeit unterworfen werden, mithin auch Streitigkeiten, die – im Vorfeld – das Zustandekommen eines privatrechtlichen Vertrags oder ein vorvertragliches Rechtsverhältnis betreffen (Rn. 20 f.).

Allerdings genügt allein die Feststellung der Rechtsnatur des Handelns nicht. Zu der privatrechtlichen Tätigkeit – hier die Aufnahme von Verhandlungen und der Abschluss eines Vertrages über die behaupteten Planungsleistungen – muss hinzukommen, dass sie dem Staat auch zurechenbar ist. Es sind zumindest Feststellungen zu einem privatrechtlichen Handeln im Namen des beklagten Staates sowie zur Zurechnung dieses Handelns zu dem Staat erforderlich (Rn. 22). Sie fehlten im Fall, in welchem eine als eigenständige juristische Person organisierte Regierungsstelle gehandelt hatte. Diese Voraussetzungen sind zudem – auch wenn sie als doppeltrelevante Tatsachen zusätzlich für die Begründetheit der Klage von Bedeutung sind – bei Prüfung der Zulässigkeit der Klage abschließend festzustellen (Rn. 23 unter Hinweis auf BGH, Urt. v. 26.09.1978 - VI ZR 267/76 - NJW 1979, 1101 Rn. 7 ff.). Sähe man dies anders, bestünde die Gefahr einer Völkerrechtsverletzung mit den oben skizzierten Folgen, wenn sich in dem weiteren Verfahren herausstellt, dass ein nicht-hoheitliches Handeln des Staates gar nicht vorlag (vgl. Rn. 23).

Weiter kritisiert der BGH, wie die Vorinstanzen die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte aus § 23 ZPO bejaht hatten. Die Norm regelt besondere Gerichtsstände für vermögensrechtliche Ansprüche gegen Personen, die im Inland keinen Wohnsitz haben; sie begründet – unter der Voraussetzung der Eröffnung der deutschen Gerichtsbarkeit – eine örtliche und zugleich eine – auch in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu prüfende (st. Rspr., BGH, Urt. v. 20.12.2012 - IX ZR 130/10 - NJW-RR 2013, 880 Rn. 10, m.w.N.) – internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte.

Nach § 23 Satz 1 Alt. 1 ZPO (Vermögensgerichtsstand) kann gegen eine Person, die im Inland keinen Wohnsitz hat, in Deutschland dort geklagt werden, wo sie Vermögen hat. Angesichts der Weite der von der Norm erfassten Sachverhalte gehört der Vermögensgerichtsstand zu den im internationalen Rechtsverkehr als störend empfundenen – jedoch nicht völkerrechts- oder verfassungswidrigen (BGH, Urt. v. 02.07.1991 - XI ZR 206/90 - BGHZ 115, 90 Rn. 12, m.w.N.) – sog. exorbitanten Gerichtsständen; als Korrektiv verlangt die höchstrichterliche Rechtsprechung einen – hier nicht zweifelhaften – hinreichenden Inlandsbezug des Rechtsstreits (BGH, Beschl. v. 13.12.2012 - III ZR 282/11 - NJW 2013, 386, Leitsatz und. Rn. 16, m.w.N.).

Bei Klagen gegen ausländische Staaten greift § 23 Satz 1 Alt. 1 ZPO überdies nicht, soweit deren inländisches Vermögen wegen Vollstreckungsimmunität – als weitere Ausprägung des Grundsatzes der Staatenimmunität – der Zwangsvollstreckung nicht unterliegt.

Die Zwangsvollstreckung in Vermögensgegenstände eines fremden Staates ist ohne dessen Zustimmung unzulässig, soweit diese hoheitlichen Zwecken dienen (st. Rspr., BVerfG, Beschl. v. 12.10.2011 - 2 BvR 2984/09, 2 BvR 3057/09, 2 BvR 1842/10 - NJW 2012, 293 Rn. 29, m.w.N.; BGH, Beschl. v. 25.06.2014 - VII ZB 23/13 - NJW-RR 2014, 1088 Rn. 13, m.w.N.), wobei das allgemeine Völkerrecht den Schutzbereich zugunsten des fremden Staates sehr weit zieht (BVerfG, Beschl. v. 13.12.1977 - 2 BvM 1/76 - BVerfGE 46, 342 Rn. 124). Maßgeblich ist, ob der Vermögensgegenstand für eine hoheitliche Tätigkeit des fremden Staates verwendet werden soll, wobei diese Abgrenzung grundsätzlich nach der Rechtsordnung des Gerichtsstaats vorzunehmen ist (BGH, Beschl. v. 25.06.2014 - VII ZB 23/13 - NJW-RR 2014, 1088 Rn. 13, m.w.N.). Der VII. Zivilsenat präzisiert, dass es dabei nicht darauf ankommt, ob ein Gegenstand bereits für hoheitliche Zwecke genutzt wird, vielmehr genügt schon, dass seitens des ausländischen Staates eine entsprechende Zweckbestimmung besteht (Rn. 37). Weiter bekräftigt er, dass kulturelle Einrichtungen ausländischer Staaten der Vollstreckungsimmunität unterfallen. Denn zur Wahrnehmung ausländischer Gewalt gehört auch die vom Staat abhängige Repräsentation von Kultur und Wissenschaft im Ausland (BGH, Beschl. v. 25.06.2014 - VII ZB 23/13 - NJW-RR 2014, 1088 Rn. 13, m.w.N., und BGH, Beschl. v. 01.10.2009 - VII ZB 37/08 - NJW 2010, 769 Rn. 26). Im Fall war die Zuständigkeit auf eines von zwei Grundstücken des Beklagten im Landgerichtsbezirk gestützt worden, das noch unbebaut, allerdings möglicherweise zur Erweiterung der angrenzenden Auslandsschule vorgesehen war. Feststellungen, welchen Zwecken das unbebaute Grundstück dient, fehlten jedoch. Zwar trägt nach allgemeinen Regeln die Darlegungs- und Beweislast für die tatsächlichen Voraussetzungen der Vollstreckungsimmunität der ausländische Staat. Hieran dürfen jedoch keine hohen Anforderungen gestellt werden, eine Glaubhaftmachung durch eine gehörige Versicherung eines zuständigen Organs genügt. Auch insoweit bestätigt der BGH die bisherige Rechtsprechung (BGH, Beschl. v. 28.05.2003 - IXa ZB 19/03 - NJW 1979, 1101 Rn. 18).

D. Auswirkungen für die Praxis
Die deutsche Gerichtsbarkeit findet ihre Grenze an der Staatenimmunität. Nicht ohne Schwierigkeiten ist dabei die Abgrenzung zwischen den von der Gerichtsbarkeit befreiten und den ihr unterliegenden Bereichen.

Die Besprechungsentscheidung stellt klar, dass auch ein vorvertragliches privatwirtschaftliches Staatshandeln die deutsche Gerichtsbarkeit eröffnet. Das Handeln muss jedoch dem ausländischen Staat zurechenbar sein. Die Voraussetzungen sind vom Kläger darzulegen und zu beweisen; das Gericht hat sie als Prozessvoraussetzung bei der Prüfung der Zulässigkeit der Klage abschließend festzustellen.

Soll der besondere Gerichtsstand des Vermögens gemäß § 23 ZPO bei Klagen gegen einen ausländischen Staat die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte begründen, greift dieser nicht, wenn das Vermögen hoheitlichen Zwecken des ausländischen Staates dient. Dabei genügt, dass eine entsprechende Zweckbestimmung besteht, sowie eine entsprechende Glaubhaftmachung durch gehörige Versicherung eines zuständigen Organs des ausländischen Staates.