jurisPR-BGHZivilR 5/2015 Anm. 4

Anfechtbarkeit der Abweisung einer Entschädigungsklage nach den §§ 198 ff. GVG mit der Nichtzulassungsbeschwerde

BGH 3. Zivilsenat, Beschluss vom 18.12.2014 - III ZR 472/13
Dr. Barbara Genius, Rechtsanwältin beim Bundesgerichtshof

Leitsatz
§ 26 Nr. 8 Satz 2 EGZPO stellt eine den Besonderheiten des Berufungsverfahrens Rechnung tragende Ausnahmebestimmung dar. Auf die Abweisung der Entschädigungsklage als unzulässig durch das erstinstanzlich entscheidende Oberlandesgericht (§ 201 Abs. 1 Satz 1 GVG) ist die Vorschrift nicht entsprechend anwendbar.

A. Problemstellung
Aus Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 6 Abs. 1 EMRK folgt ein Anspruch der an einem Zivilprozess Beteiligten auf Entscheidung in angemessener Zeit. Für den Fall der Verletzung dieses Anspruchs geben die §§ 198 ff. GVG einen Rechtsbehelf in Gestalt einer speziellen Entschädigungsklage. Die Anfechtbarkeit einer die Entschädigungsklage als unzulässig abweisenden oberlandesgerichtlichen Entscheidung mit der Nichtzulassungsbeschwerde zum BGH ist Gegenstand der Besprechungsentscheidung.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger hatte das beklagte Land gemäß den §§ 198 ff. GVG auf Entschädigung für immaterielle Nachteile in Höhe von 7.200 Euro wegen unangemessener Dauer eines Zivilprozesses in Anspruch genommen und daneben die Feststellung der Ersatzpflicht für weitere Schäden begehrt.

Das gemäß § 201 Abs. 1 GVG zuständige Oberlandesgericht hatte die Klage als unzulässig abgewiesen, da der Kläger die Verzögerungsrüge nach § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG nicht rechtzeitig erhoben und die Wartefrist des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG nicht eingehalten habe. Die gegen diese Entscheidung eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hat der BGH in entsprechender Anwendung des § 26 Nr. 8 Satz 1 EGZPO als unzulässig verworfen, weil der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20.000 Euro nicht übersteigt.

C. Kontext der Entscheidung
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hatte die Bundesrepublik Deutschland in einem Urteil vom 02.09.2010 (46344/06 - NJW 2010, 3355) verpflichtet, spätestens innerhalb eines Jahres einen wirksamen Rechtsbehelf zu Verfügung zu stellen, mit dem eine angemessene Abhilfe bei überlangen zivilrechtlichen Verfahren erlangt werden kann. Diesen Rechtsbehelf hat der Gesetzgeber in den am 03.12.2011 in Kraft getretenen §§ 198 ff. GVG geregelt. Danach wird, wer infolge einer unangemessenen Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, angemessen entschädigt; § 198 GVG regelt die Voraussetzungen dieses Entschädigungsanspruchs.

Für Nachteile, die aufgrund von Verzögerungen bei Gerichten eines Landes eingetreten sind, haftet gemäß § 200 Satz 1 GVG das Land; zuständig für Entschädigungsklagen ist das Oberlandesgericht, in dessen Bezirk das streitgegenständliche Verfahren durchgeführt wurde (§ 201 Abs. 1 Satz 1 GVG). Gegen die erstinstanzliche Entscheidung des Oberlandesgerichts findet die Revision nach Maßgabe des § 543 ZPO statt, § 544 ZPO über die Nichtzulassungsbeschwerde ist entsprechend anwendbar (§ 201 Abs. 2 Satz 3 ZPO).

Ob für die Nichtzulassungsbeschwerde auch § 26 Nr. 8 Satz 1 EGZPO gilt, wonach die Beschwerde nur zulässig ist, wenn der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20.000 Euro übersteigt, hat der BGH bereits in mehreren Entscheidungen bejaht. § 544 ZPO, der die Einzelheiten der Nichtzulassungsbeschwerde regelt, ist nach § 26 Nr. 8 EGZPO, dessen Geltung zuletzt bis zum 31.12.2016 verlängert wurde (BGBl. I 2014, 1962), nur mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Wertgrenze von 20.000 Euro überschritten ist. § 544 ZPO ist deshalb – auch wenn § 201 Abs. 2 Satz 3 HS. 2 GVG den § 26 Nr. 8 EGZPO nicht ausdrücklich erwähnt – bis zu diesem Zeitpunkt nur mit dem Inhalt des § 26 Nr. 8 EGZPO zu verstehen, d.h. § 26 Nr. 8 EGZPO ist in den entsprechend anwendbaren § 544 ZPO „hineinzulesen“ (BGH, Beschl. v. 25.07.2013 - III ZR 400/12 Rn. 4 ff. und BGH, Beschl. v. 25.07.2013 - III ZR 413/12 Rn. 4 ff., sowie BGH, Beschl. v. 27.02.2014 - III ZR 161/13 Rn. 6 ff.). In der Besprechungsentscheidung bestätigt der III. Zivilsenat einleitend diese Rechtsprechung (Rn. 9). Danach unterliegen die erstinstanzlichen Urteile der Oberlandesgerichte über Entschädigungsklagen nach den §§ 198 ff. GVG nur dann der Nichtzulassungsbeschwerde, wenn der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20.000 Euro übersteigt.

Von § 26 Nr. 8 Satz 1 EGZPO macht allerdings § 26 Nr. 8 Satz 2 EGZPO eine Ausnahme. Danach gilt die Wertgrenze des Satzes 1 nicht, wenn das Berufungsgericht in seinem Urteil die Berufung verwirft. Im Fall hatte das Oberlandesgericht – wegen Fehlens von Voraussetzungen des § 198 GVG – die Entschädigungsklage ebenfalls verworfen. Der Kläger hatte daher versucht, diese Ausnahmeregelung fruchtbar zu machen.

In der Besprechungsentscheidung ist der BGH diesem Versuch entgegengetreten und hat eine Anwendbarkeit der Ausnahmeregelung in § 26 Nr. 8 Satz 2 EGZPO verneint.

§ 26 Nr. 8 Satz 2 EGZPO soll einen „Gleichlauf“ mit § 522 Abs. 1 ZPO herstellen. Hintergrund der Regelung ist, dass eine unzulässige Berufung sowohl durch Beschluss (§ 522 Abs. 1 Satz 3 ZPO) als auch durch Urteil verworfen werden kann. Wird die Berufung durch Beschluss verworfen, so findet stets – unabhängig vom Wert der Beschwer – die Rechtsbeschwerde statt (§ 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO). § 26 Nr. 8 Satz 2 EGZPO stellt den Gleichlauf des Rechtsschutzes her, indem er bestimmt, dass gegen Urteile, die die Berufung als unzulässig verwerfen, die Nichtzulassungsbeschwerde ohne Bindung an eine Wertgrenze gegeben ist. Es handelt sich somit um eine den Besonderheiten des Berufungsverfahrens Rechnung tragende Ausnahmebestimmung. Auf die Abweisung der Entschädigungsklage als unzulässig durch das erstinstanzlich entscheidende Oberlandesgericht (§ 201 Abs. 1 Satz 1 GVG) ist die Vorschrift nicht entsprechend anwendbar. Sie ist für den Entschädigungsprozess nach den §§ 198 ff. GVG, der keinen Berufungsrechtszug kennt (§ 201 Abs. 2 Satz 3 ZPO), ohne Bedeutung (Rn. 9).

D. Auswirkungen für die Praxis
Die Entscheidung liegt in der Linie der BGH-Rechtsprechung, die auch in anderen Fällen einer ausweitenden Anwendung des § 26 Nr. 8 Satz 2 EGZPO eine Absage erteilt hat (vgl. BGH, Beschl. v. 08.09.2011 - III ZR 259/10 zur Anfechtbarkeit eines Verwerfungsurteils gemäß § 341 Abs. 2 ZPO mit Revision oder Nichtzulassungsbeschwerde m. Anm. Genius, jurisPR-BGHZivilR 20/2011 Anm. 3).

Auch die Besprechungsentscheidung ist deutlich: § 26 Nr. 8 Satz 2 EGZPO ist auf die Abweisung der Entschädigungsklage gemäß § 198 ff. GVG als unzulässig durch das erstinstanzlich entscheidende Oberlandesgericht (§ 201 Abs. 1 Satz 1 GVG) nicht entsprechend anwendbar. Der Nichtzulassungsbeschwerde unterliegen Urteile gemäß § 201 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 3 GVG vielmehr (jedenfalls bis zum 31.12.2016) nur, wenn – was selten der Fall sein dürfte – der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20.000 Euro übersteigt.