jurisPR-BGHZivilR 2/2015 Anm. 4

Unabdingbarkeit des besonderen Gerichtsstands für Klagen eines Verbrauchers aus Haustürgeschäften

BGH 3. Zivilsenat, Urteil vom 30.10.2014 - III ZR 474/13
Dr. Barbara Genius, Rechtsanwältin beim Bundesgerichtshof

Leitsatz
Vereinbarungen, in denen für Klagen eines Verbrauchers aus Haustürgeschäften ein von § 29c Abs. 1 Satz 1 ZPO abweichender Gerichtsstand bestimmt wird, sind nach § 29c Abs. 3 ZPO unzulässig.

A. Problemstellung
Mit dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz ist mit Wirkung ab 2002 auch das nationale Verbraucherzivilprozessrecht neu geregelt worden, darunter der besondere Gerichtsstand für Haustürgeschäfte in dem neu eingefügten § 29c ZPO.

Der BGH hat nun geklärt, dass für Klagen des Verbrauchers aus Haustürgeschäften dieser besondere Gerichtsstand nicht durch Gerichtsstandsvereinbarungen abbedungen werden kann.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger unterzeichnete 2007 einen Verwaltungs- und einen Serviceauftrag, mit dem er der im Fürstentum Liechtenstein ansässigen Beklagten den Abschluss eines Vermögensverwaltungsvertrags mit einer Laufzeit von 30 Jahren anbot. Nach den Vertragsbedingungen des Serviceauftrags sollte der Vertrag dem liechtensteinischen Recht unterliegen. Als Erfüllungsort und Gerichtsstand war Liechtenstein bestimmt. Der Beklagten sollte es freistehen, ihre Rechte am Wohnsitz des Klägers oder bei jedem anderen zuständigen Gericht geltend zu machen. Die Beklagte nahm den Auftrag an.

2011 erklärte der Kläger die Kündigung des Beteiligungsvertrages und zugleich den Widerruf sowie die Anfechtung seiner auf den Vertragsschluss gerichteten Willenserklärung.

Vor dem Landgericht, in dessen Bezirk er seinen Wohnsitz hat, erhob er Klage u.a. auf Rückzahlung erbrachter Leistungen und Feststellung, dass der Beklagten aus dem Servicevertrag keine Ansprüche gegen ihn zustehen. Die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts folge aus § 29c ZPO. Danach sei die Gerichtsstandsvereinbarung im Servicevertrag nicht wirksam zustande gekommen.

Das Landgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen, weil seine internationale Zuständigkeit nicht gegeben sei. Die Berufung des Klägers blieb erfolglos.

Auf die vom Berufungsgericht zugelassene Revision hat der BGH das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zurückverwiesen.

Der III. Zivilsenat bestätigt die Auffassung des Klägers, wonach die Gerichtsstandsvereinbarung nach § 29c Abs. 3 ZPO unzulässig war, und gibt dem Berufungsgericht auf, die zuständigkeitsbegründenden tatbestandlichen Voraussetzungen des § 29c Abs. 1 a.F. ZPO zu klären und – bejahendenfalls – über die Begründetheit der Klage zu entscheiden.

C. Kontext der Entscheidung
Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bestimmt, wann ein deutsches – und nicht ein ausländisches – Gericht zur Entscheidung eines Rechtsstreits berufen ist.

Diese internationale Zuständigkeit allgemein regelnde Normen sind in der ZPO nicht enthalten. Sie ist in ihren Voraussetzung vielmehr mit der örtlichen Zuständigkeit gemäß den §§ 12 ff. ZPO verknüpft. Auch § 29c ZPO regelt doppeltfunktional zugleich die internationale Zuständigkeit (Patzina in: MünchKomm ZPO, 4. Aufl., § 29c Rn. 27). Im Rahmen der Prüfung der internationalen Zuständigkeit hatte der BGH daher Gelegenheit, zur Auslegung des § 29c ZPO Stellung zu nehmen.

Denn auch im Revisionsrechtszug schließt die – im Interesse der Verfahrensbeschleunigung und der Entlastung des Revisionsgerichts – in § 545 Abs. 2 ZPO geregelte Beschränkung der Zuständigkeitsprüfung die Überprüfung der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte nicht aus, da dieser ein ungleich größeres Gewicht zukommt. Sie betrifft die Abgrenzung zu den Souveränitätsgrenzen anderer Staaten und entscheidet damit zugleich über das Verfahrensrecht, dem der Rechtsstreit unterliegt. Daher ist ungeachtet des weiten Wortlauts des Ausschlusstatbestandes in § 542 Abs. 2 ZPO das Revisionsgericht befugt, die internationale Zuständigkeit zu prüfen (st. Rspr., vgl. BGH, Urt. v. 28.11.2002 - III ZR 102/02 - BGHZ 153, 82 Rn. 9 ff.).

§ 29c ZPO regelt den besonderen Gerichtsstand für Haustürgeschäfte am Wohnsitz des Verbrauchers. Er tritt – erweiternd – an die Stelle des bisherigen § 7 HWiG. Die Regelung soll den prozessualen Rechtsschutz des Verbrauchers bei Haustürgeschäften verbessern, indem sie ihn sowohl vor einer wohnsitzfernen Inanspruchnahme durch den Unternehmer schützt als auch dem Verbraucher eine Klagemöglichkeit an seinem Wohnsitz eröffnet.

Der besondere Gerichtsstand für Haustürgeschäfte am Wohnsitz des Verbrauchers ist dabei gemäß § 29c Abs. 1 Satz 1 ZPO für Klagen des Verbrauchers nicht mehr als ausschließlicher Gerichtsstand ausgestaltet, der Verbraucher kann also den Unternehmer auch an anderen gegebenen Gerichtsständen verklagen. Umgekehrt gilt das nicht: Für Klagen gegen den Verbraucher regelt § 29c Abs. 1 Satz 2 ZPO diesen besonderen Gerichtsstand am Wohnsitz des Verbrauchers als ausschließlichen Gerichtsstand.

§ 29c Abs. 3 ZPO trifft eine ergänzende Regelung über zulässige Gerichtsstandsvereinbarungen im Bereich des § 29c ZPO. Danach ist eine von Abs. 1 abweichende Vereinbarung zulässig für den Fall, dass der Verbraucher nach Vertragsschluss seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt ins Ausland verlegt oder der Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthaltsort des Verbrauchers im Zeitpunkt der Klage unbekannt ist.

Die in § 29c Abs. 3 ZPO genannten Fallkonstellationen betreffen Klagen gegen Verbraucher (Abs. 1 Satz 2), für die sich damit unmittelbar aus dem Gesetz ergibt, wann eine Gerichtsstandsvereinbarung zulässig ist. Nicht im selben Maße deutlich ist demgegenüber, ob die Norm auch eine Regelung in Hinsicht auf Klagen des Verbrauchers (Abs. 1 Satz 1) enthält.

Diese Frage hat der BGH in der Besprechungsentscheidung geklärt. § 29c Abs. 3 ZPO ist dahin auszulegen, dass Gerichtsstandsvereinbarungen, die für Klagen des Verbrauchers den besonderen Gerichtsstand am Wohnsitz des Verbrauchers derogieren, nicht zulässig sind. Zur Begründung zieht der BGH zutreffend den Wortlaut des § 29c Abs. 3 ZPO heran, der sich auf den gesamten Abs. 1 bezieht, sowie die Entstehungsgeschichte und Sinn und Zweck der Regelung. Danach ist § 29c ZPO an die Stelle des § 7 HWiG getreten, nach dem für Klagen aus Haustürgeschäften das Gericht ausschließlich zuständig war, in dessen Bezirk der Kunde zur Zeit der Klageerhebung seinen Wohnsitz, in Ermangelung eines solchen seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort hatte. Als ausschließlicher Gerichtsstand konnte er gemäß § 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO nicht durch eine Gerichtsstandsvereinbarung derogiert werden. Durch die Neufassung in § 29c Abs. 1 ZPO habe – so die Gesetzesbegründung – der Verbraucher in gleicher Weise wie bisher geschützt werden und zugleich die Möglichkeit erhalten sollen, am allgemeinen Gerichtsstand der anderen Vertragspartei und am Erfüllungsort zu klagen. Auch Sinn und Zweck der Regelung bestehe unverändert darin, den Verbraucher im Prozessfall davor zu bewahren, seine Rechte bei einem möglicherweise weit entfernten Gericht geltend machen zu müssen (BGH, Beschl. v. 07.01.2003 - X ARZ 362/02 - WM 2003, 605 Rn. 17). Außerdem verweist der BGH auf Art. 16, 17 EuGVVO, wonach die Klage eines Verbrauchers gegen den anderen Vertragspartner entweder vor den Gerichten des Mitgliedstaates erhoben werden kann, in dessen Hoheitsgebiet dieser Vertragspartner seinen Wohnsitz hat, oder vor dem Gericht des Ortes, an dem der Verbraucher seinen Wohnsitz hat, und hiervon nur in bestimmten – hier nicht einschlägigen – Fällen abgewichen werden kann, und dies grundsätzlich nicht – wie hier – mittels einer Gerichtsstandsvereinbarung im Hauptvertrag. Der deutsche Gesetzgeber habe bei der Ausgestaltung des nationalen Verbraucherzivilprozesses außerhalb der EuGVVO sicher nicht hinter deren Schutzniveau zurückbleiben wollen.

D. Auswirkungen für die Praxis
Bei Haustürgeschäften ist eine von § 29c Abs. 1 Satz ZPO abweichende Gerichtsstandsvereinbarung für Klagen des Verbrauchers unzulässig. Dem Verbraucher kann damit der besondere Gerichtsstand an seinem Wohnsitz für Klagen gegen den Unternehmer nicht genommen werden. Bei einem Haustürgeschäft kann er den Unternehmer also immer bei dem Gericht verklagen, in dessen Bezirk er seinen Wohnsitz hat. Daneben hat er die Möglichkeit, den Unternehmer auch an dessen allgemeinem Gerichtsstand, dem Gerichtsstand der Niederlassung oder aber am Gerichtsstand des Erfüllungsortes (§ 29 ZPO) zu verklagen.

Im Geltungsbereich der EuGVVO können die Art. 15 bis 17 eingreifen und gehen dann § 29c ZPO vor (Patzina in: MünchKomm ZPO, § 29c Rn. 28). Sie bieten einen § 29c ZPO entsprechenden Schutzstandard.